
Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus (Bilder: links: Thomas Rusche, via google-Maps, 2024; rechts: Studio Daniel Libeskind, CC BY SA 4.0, 2017)
BAU: Felix-Nussbaum-Haus
ADRESSE: Lotter Straße 2, 49078 Osnabrück
BAUZEIT: 1995–1998 (Neubau), 2011 (Erweiterung)
ARCHITEKT:INNEN: Studio Daniel Libeskind (Daniel Libeskind)
PREIS: The Best of 1998 Design Awards – TIME Magazine
Als „Museum ohne Ausgang“ beschrieb der Architekt Daniel Libeskind seinen Entwurf für das Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus. Treffend, denn der skulpturale Baukörper will mehr sein als eine neutrale Bilderhülle. Hier ist schon die Architektur selbst Teil der Aussage – sie inszeniert die Orte, den Lebensweg und das Werk des deutsch-jüdischen Malers Felix-Nussbaum, der kurz vor Kriegsende im KZ Auschwitz-Birkenau zu Tode kam. Das Haus, das seit 1998 seine Werke ausstellt, wurde zugleich das erste fertiggestellte Bauwerk von Daniel Libeskind. Und genau hier finden sich bereits Ideen und Stilelemente, die den Architekten kurz darauf beim Jüdischen Museum in Berlin bekannt machen sollten.

Osnabrück, Lageplan des Museumsquartiers, in Schwarz das Felix-Nussbaum-Haus, rechts im Bild der Erweiterungsbau von 2011 auf dreckigem Grundriss (Bild: Lageplan)
Drei Stationen auf dem Weg
Die Bilder, die der Maler Felix Nussbaum (1902–1944) noch zu Lebzeiten im belgischen Exil einem befreundeten Arzt übergeben hatte, wurden in den frühen 1970er Jahren „wiederentdeckt“. In Nussbaums Heimatstadt Osnabrück wurden sie ausgestellt, dokumentiert und bald mit dem Wunsch verknüpft, sie dauerhaft präsentieren zu können. Dafür sollte ein Neubau an das Kulturhistorische Museum (1899, Emil Hackländer) angegliedert werden, ohne dessen denkmalgeschütztes Erscheinungsbild zu beeinträchtigen. Der zugehörige Wettbewerb wurde 1994 ausgelobt und 1995 zugunsten des US-amerikanischen Architekten Daniel Libeskind (*1946) entschieden.
Von Anfang an war der Siegesentwurf umstritten, denn Libeskinds Raumkonzept kam mit einem komplexen und erklärungsbedürftigen Überbau daher. Drei Elemente stehen für die drei Lebensstationen des Malers: das mit Eichenholz-Brettern verkleidete Nussbaum-Haus, die in Zinkblech gehüllte Nussbaum-Brücke und der Nussbaum-Gang in glatt geschaltem Sichtbeton. In äußerster Entfernung vom historischen Museumsbau, am Kreuzungspunkt der gläsernen Verbindungsgänge bietet das sog. vertikale Museum, ein betonsichtiger turmartiger Bau, einen weiteren Erlebniszugang.

Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus (Bilder: links: Arne Mayerhof, via google-Maps, 2024; rechts: Douglas Koster, via google-Maps, 2017)
Ohne Ziel
Was alle Gebäudeteile – trotz ihrer unterschiedlichen Oberflächen – verbindet, ist das Liniennetz aus metallenen Stegen, Kanten, Lichtschlitzen und Muster in der Pflasterung. Libeskind verstand sie als Verbindungen zwischen geografischen und historischen Bezugspunkten aus dem Leben Nussbaums – wie die auf dem Areal ergrabene Brücke des 17. Jahrhunderts, die 1906 eingeweihte und 1938 abgerissene Synagoge der Stadt sowie das KZ von Ausschwitz.
Auch die Abfolge der Innenräume spiegelt Libeskinds Konzept. In einem Weg ohne klares Ziel durchlaufen die Besucher:innen drei Lebensstationen Nussbaums: Im dunklen Sichtbetongang mit seinen spitz zulaufenden Wänden soll die Gefangenschaft des Malers sinnlich erfahrbar werden. Das Frühwerk Nussbaums konzentriert sich auf den lichten hölzernen Bau, während die später zur Sammlung zugefügten Bilder in der Zinkblech-Brücke untergebracht wurden, die ihrerseits zum Kulturhistorischen Museum überleitet.

Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus (Bild: Thomas Rusche, via google-Maps, 2024)
Dies- und jenseits des Atlantik
Geboren 1946 im polnischen Łódź, emigrierte Daniel Libeskind mit seiner Familie in die USA und schlug eine künstlerische Laufbahn ein. Zunächst studierte er in Israel und den USA Musik und machte sich in diesem Bereich einen Namen. Erst um 1970 wechselte er das Fach zur Architekturtheorie und -geschichte, die er mit internationalen Lehraufträgen vertiefte. 1989 zog er nach Berlin, eröffnete das Studio Daniel Libeskind und wandte sich verstärkt dem Entwerfen zu. Hier stellte er jeweils den Ortsbezug seiner geplanten Bauten in den Vordergrund und gewann verschiedene Wettbewerb, ohne jedoch in der Umsetzung zum Zug zu kommen.
Als Libeskind seine unkonventionellen Entwürfe in den 1990er Jahren endlich verwirklichen durfte, startete er fast parallel mit gleich zwei große Museumsprojekte zur jüdischen Geschichte: dem 1998 fertiggestellten Nussbaum-Haus und dem 2001 eingeweihten Jüdischen Museum in Berlin. Es folgten Kultur- und Wohnbauten dies- und jenseits des Atlantik, darunter das Jüdische Museum in Kopenhagen (2004). Als Libeskind 2003 den Wettbewerb zur Neugestaltung des Ground Zero für sich entscheiden konnte (für dessen Bau er dann als Berater engagiert wurde), zog er nach New York. Sein Studio unterhält ein weiteres Büro in Mailand. Für sein lebenslanges Engagement in der jüdisch-christlichen Zusammenarbeit wurde er 2010 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet.

Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus, Verbindungsgang über eine ergrabene Brücke des 17. Jahrhunderts (Bild: links: Oliver Roth, via google-Maps, 2024)
In Verbindung
Gut zehn Jahre nach seinem Erstling, der gerne dem Dekonstruktivismus zugeordnet wird, beauftragte man Libeskind in Osnabrück erneut. Dieses Mal sollte er die Anlage nach Norden erweitern und Teile des Kulturhistorischen Museums umgestalten, um vor allem mehr Raum zur Vermittlungsarbeit zu schaffen. Dafür ergänzte er einen kristallinen Baukörper, den er – um ihn als neu kenntlich zu machen und zugleich harmonisch einzufügen – mit grauem Putz und anthrazitfarbenen Fensterrahmen versehen ließ. Wo die Elemente von 1998 strahlen- und blitzförmige Leuchten und Lichtschlitze zeigen, wird der Zusatz von 2011 durch vieleckige Fenster weitaus stärker aufgebrochen. Hier erschließen sich den Besucher:innen nun auch Werke der Malerin Felka Platek (1899–1944), der Lebensgefährtin Felix Nussbaums, die ebenfalls in Auschwitz den Tod gefunden hat.
Text: Karin Berkemann, April 2025

Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus, Erweiterungsbau von 2011, der direkt an das Kulturhistorische Museum anschließt (Bild: Riccardo-Francasso, via google-Maps, 2019)

Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus, Lichtschlitze leiten die Besucher:innen durch Räume, Gänge und Treppen (Bilder: links: Thomas Rusche, via google-Maps, 2024; rechts: Oliver Roth, via google-Maps, 2023)

Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus (Bild: Basotxerri, CC BY SA 4.0, 2017)

Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus (Bild: Bernhard van Riel, via google-Maps, 2023)
Wei, Hu, Räume gegen das Vergessen: Das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück, in: Literaturstraße 23, 2022, 1, S. 245–268.
Kraft, Simone, Dekonstruktivismus in der Architektur? Eine Analyse der Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im New Yorker Museum of Modern Art 1988, Bielefeld 2015 (zugl. Diss. Uni Tübingen, 2013), S. 156–183.
Rodiek, Thorsten (Bearb.), Daniel Libeskind – Museum ohne Ausgang. Das Felix-Nussbaum-Haus des Kulturgeschichtlichen Museums Osnabrück, Tübingen 1998.
Online-Präsenz des Studios Daniel Libeskind
Online-Präsenz des Felix-Nussbaum-Hauses.
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