Bremen, Vegesacker Hafenbrücke, Blick von Grohn nach Alt-Vegesack (Bild: Lorena Pethig, 2024)
BAU: Vegesacker Hafenbrücke
ADRESSE: Am Vegesacker Hafen, 28757 Bremen
BAUZEIT: 1999–2000
MITWIRKENDE: DesignLabor Bremerhaven (Benjamin Pfister, Bernhard Dietz; Entwurf), Prof. Dr.-Ing. Hilbers Ingenieurbaugesellschaft mbH und Arup GmbH (Ingenieurplanung)
Ihre eigentliche Schönheit entfaltet die Hafenbrücke in Bewegung, wenn sie sich hebt und senkt. Dann warten die Fußgänger:innen gerne, die über eine Spannweite von 42 Metern hinweg von Alt-Vegesack nach Grohn wechseln wollen (und umgekehrt). Meist lohnt es sich, nicht nur für die technischen Abläufe, sondern auch für die passierenden Traditions- und Segelschiffe innezuhalten – auf ein Foto, einen längeren Blick und ein gegenseitiges Winken. Zudem steht man hier an historischer Stelle: Bereits 1622 entstand in Vegesack der erste künstlich angelegte Binnenhafen Deutschlands, über den von 1872 bis 1953 eine eiserne Drehbrücke führte. Die seitdem klaffende Lücke schloss die Stave (Stadtentwicklung Vegesack GmbH) – an einem leicht verschobenen Standort – von 1999 bis 2000 mit einer innovativen Konstruktion, die bis heute nichts an Nutzen und Ästhetik eingebüßt hat.
Bremen, Vegesacker Hafenbrücke, Konstruktionszeichnung im geschlossenen (links) und im offenen Zustand (Bild: Konstruktionszeichnung; Bildquelle: Ponte pedonale ribaltabile a Brema-Vegesack, Bremerhaven, Germania. Pedestrian Drawabridge, Bremen-Vegesack, Germany, in: Domus, Juni 2000, S. 20–21)
Kleinteilig
Im September 1996 bestaunte der Vegesacker Gemeinderat ein Modell der geplanten Hafenbrücke, die sich per Miniaturmotor heben und senken ließ. Schon vor dieser Präsentation hatte das Planungsteam vom DesignLabor Bremerhaven dutzende analoger Simulationen durchgespielt. Sie dienten dem technischen Test ebenso wie der Vermittlung ihrer Ideen. So stand der Gemeinderat fasziniert vor einem Modell, das nicht nur die Abläufe sichtbar machte, sondern unter der geöffneten Hubbrücke auch einen Miniatur-Fischerkutter passieren ließ. Wie die Presse spätere berichtete, lag der Schwerpunkt zu diesem Zeitpunkt mehr bei der Konstruktion – das Ganze müsse noch „gestalterisch optimiert“ werden. Für den ästhetischen Feinschliff war eine „schicke High-Tech-Konstruktion“ im Gespräch.
Tatsächlich hatte das Designlabor Bremerhaven mit seinem Entwurf Neuland betreten. Auf planerischer Seite wurden es dabei unterstützt durch zwei erfahrene Player: die Prof. Dr.-Ing. Hilbers Ingenieurbaugesellschaft mbH und die Arup GmbH. Zum Einsatz kamen bewährte Module aus dem Kranbau, die aber zum ersten Mal in dieser Form für eine Brücke genutzt werden sollten. Das System dahinter, das sogenannte Kniehebelprinzip, verbindet drei Teile: Am Alt-Vegesacker Ufer liegt das kurze feste Element. Ihm gegenüber, nach Grohn, folgt der längere klappbare Brückenteil. Dieser wird über den 22 Tonnen schweren Pylon hinweg mit einer Seilwinde in die Höhe gezogen. Somit klappt die Konstruktion nach oben – und drückt, über Gelenke verbunden, gleichzeitig das kürzere Brückenstück nach unten. Alle drei Elemente stabilisieren sich in der Bewegung gegenseitig.
Bremen, Vegesacker Hafenbrücke, Details der Konstruktion (Bilder: Lorena Pethig, 2024)
Passgenau
Nach einer mehrjährigen Entwicklungsphase äußerten die Entwerfer Benjamin Pfister und Bernhard Dietz gegenüber der Presse im Sommer 1999 ihr Erstaunen: „Wir haben nie damit gerechnet, daß das jemals gebaut wird.“ Im Juni 1999 wurden die Metallelemente in wenigen Tagen, neugierig beobachtet von Bremer:innen an beiden Ufern, von Preussag-Noell aus Bamberg geliefert und vor Ort ineinander gefügt. Auch der erste Probelauf im Juli 1999 endete eigentlich positiv. Doch die geplante Eröffnung zum Hafenfest desselben Jahres musste am Ende verschoben werden, denn der Teufel steckte im Detail. Zuletzt wurde noch das bereits montierte (aber im falschen Material gefertigte) Geländer ausgewechselt, bevor man die Konstruktion 2000 der Öffentlichkeit übergeben konnte.
Neben der technischen Faszination lobte die Presse auch die Form der neuen Brücke, die es im Jahr 2000 sogar bis in die internationale Designzeitschrift „Domus“ schaffte. Tagsüber besticht die weiß gefasste Metallkonstruktion durch eine filigrane, elegante Konstruktion, deren aufgespannter Pylon an maritime Bilder erinnert. Und Nachts sorgen kleine Leuchten unter den Aluminiumrosten dafür, dass die Fußgänger:innen über einen „Lichtteppich“ schreiten können. Bei so viel Lob waren die Baukosten von mehr als vier Millionen Euro rasch vergessen.
Bremen, Vegesacker Hafenbrücke, schematische Zeichnung der Aufsicht (Bild: Konstruktionszeichnung; Bildquelle: Fußgängerbrücke über den Vegesacker Hafen. Symbiose aus Technik und Form, in: Der Aufbau, 2003, 1, S. 8)
Mustergültig
Die Hafenbrücke war Teil einer umfassenderen städtebaulichen Maßnahme, denn sie schloss eine Lücke zwischen den Bremer Stadtteilen Alt-Vegesack und dem damaligen Neubaugebiet auf dem anderen Ufer. Denn hier, auf dem Gelände der ehemaligen Lürßen Werft, wurden den späten 1990er Jahren neben Neubauten auch einige historische Anlagen saniert und umgenutzt, etwa zum Schifffahrtsmuseum Spicarium. Das damals errichtete Einkaufszentrum Haven Höövt musste vor einigen Jahren bereits wieder anderen Plänen weichen, aktuell entsteht auf dem Areal das sogenannte Speicherquartier. Für das entsprechende maritime Ambiente sorgten Museumsschiffe wie (bis 2021) das Schulschiff Deutschland, deren Ein- und Ausfahrt durch die Klappbrücke möglich wurde.
Im Jahr 1990 gegründet und 2011 wieder geschlossen, hatte sich das DesignLabor Bremerhaven etwa mit Stipendienprogrammen der experimentellen Entwicklung innovativer Designs verschrieben. Entsprechend stolz war man hier auf die Technik der Vegesacker Hafenbrücke und meldete dafür 2000 einen Musterschutz an. Die Bremer:innen kennen die Konstruktion auch als sich wiederholende Baustelle, in der Einzelteile saniert, zerlegt und neu montiert werden, um die Funktion dauerhaft zu gewährleisten. Liebevoll gepflegt, kann die Klappbrücke daher bis heute bestaunt und begangen werden.
Text: Karin Berkemann, Oktober2024
Bremen, Vegesacker Hafenbrücke, Blick von Alt-Vegesack nach Grohn (Bild: Lorena Pethig, 2024)
Bremen, Vegesacker Hafenbrücke, Details (Bilder: Lorena Pethig, 2024)
Wurthmann, Manfred, High-Tech-Brücke über den Hafen. Beirat für Stave-Plan/Mehr Trinkwasser für Vegesack, in: Die Norddeutsche, 14. September 1996.
Brandt, Michael, Hafenbrücke gestern montiert. Kran brachte Segmente/Einmalige Bewegungsmechanik/Morgen folgt Pylon, in: Die Norddeutsche, 23. Juni 1999.
Musterschutz für die Hafenbrücke, in: Die Norddeutsche, 4. Mai 2000.
Zentimeterarbeit mit dem Kran. 22-Tonnen-Spargel paßte genau in die Hafenbrücke, in: Die Norddeutsche, 25. Juni 1999.
Brandt, Michael, Jetzt dauert es weitere acht Wochen. Geländer der Hafenbrücke soll ausgetauscht werden/Eröffnung mit einem knappen Jahr Verspätung, in: Die Norddeutsche, 20. Januar 2000.
Ponte pedonale ribaltabile a Brema-Vegesack, Bremerhaven, Germania. Pedestrian Drawbridge, Bremen-Vegesack, Germany, in: Domus, Juni 2000, S. 20–21.
Fußgängerbrücke über den Vegesacker Hafen. Symbiose aus Technik und Form, in: Der Aufbau, 2003, 1, S. 8.
Online-Auftritt des Design-Büros Bremerhaven.
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