Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Blick zum Tuchschererweg (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Thomas Drachenberg, 2023)
BAUTEN: Wohnanlage Volltuch-Areal
ADRESSEN: Am Herrenhaus 2, Birkenweg 1–6, Puschkinstraße 42–50, Tuchschererweg 1–7, Volltuchweg 1a, Weberweg 1–5, 14943 Luckenwalde (angrenzend: Vierseithof, Haag 19/20, 14943 Luckenwalde)
BAUZEIT: 1992–1998
MITWIRKENDE: Moritz und Hans Christian Müller, Götz M. Keller (Architekten); Hans Loidl (Landschaftsarchitekt)
PREIS: 1997 Brandenburgischer Architekturpreis
Wer im brandenburgischen Luckenwalde unterwegs ist, fühlt sich kurzerhand nach Berlin versetzt, genauer gesagt in das Berlin der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1984/87. Dieser Eindruck trügt nicht, denn einer der verantwortlichen Architekten, die das Luckenwalder Volltuch-Areal bis 1998 neu erschlossen, zählt zu den Initiator:innen der IBA. Hans Christian Müller (1921–2010), der in Berlin architektonisch schon zur Interbau 1957 beigetragen hatte (Klopstockstraße 7–11), wirkte hier von 1967 bis 1982 als Senatsbaudirektor. In den 1990er Jahren brachte er in Luckenwalde die richtigen Persönlichkeiten zusammen, um das innerstädtische Volltuch-Areal – historische Bauten einbeziehend – neu zu gestalten.
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, historisches Webereigebäude der ehemaligen Feintuchsfabrik (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2024)
Ein historischer Anker
Beim Volltuch-Areal handelt es sich nicht um eines jener Neubaugebiete im Berliner Speckgürtel wie Karow Nord oder Kirchsteigfeld, die auf der grünen Wiese aufploppten. Aber die Grundidee des New Urbanism, eine gewachsene städtische, fast dörfliche Struktur nachzustellen, findet sich auch in Luckenwalde. Hier fiel es leichter, eine Brücke in die Geschichte zu schlagen, da auf dem Gelände ab der Jahrhundertwende die Feintuchsfabrik Tannenbaum, Pariser & Co. zu Hause war. Erhalten blieben – und bis 1997 saniert wurden – eine Maschinenhalle (Am Herrenhaus 2) von 1895 und einige Produktionsgebäude (Volltuchweg 1a/Birkenweg) von 1898 und 1918. Die eingeschossigen sattelbedachten Bauten verbindet eine gelbe Klinkerverkleidung, teils mit rottonigen Mustern durchsetzt.
Nach der Wiedervereinigung kollabierte die Luckenwalder Tuchfabrik GmbH (vormals VEB Volltuch Luckenwalde) und 185 Mitarbeiter:innen standen auf der Straße. Die Stadt, der Landkreis und der Verein für Arbeitsförderung und berufliche Bildung gründeten daraufhin 1991 die Luckenwalder Beschäftigungs- und Aufbaugesellschaft mbH (LUBA). Schon im Folgejahr wurde das Volltuch-Areal beräumt, um das erste große Wohnungsbauprojekt der Stadt seit der Wiedervereinigung vorzubereiten. Auf dem frei gewordenen Gelände zwischen Bahnhof und Altstadt entstanden bis 1998 auf gut 40.000 Quadratmetern – mit öffentlicher Förderung, unter der Ägide von Wohnpark Volltuch OHG und Habarent Grundstücks GmbH & Co – 578 neue Wohnungen für mehr als 1.000 Menschen.
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Puschkinstraße 45 und 46a (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2022)
Teamwork
Der gebürtige Berliner Moritz Müller, der sich zur IBA 84/87 vor allem mit der postmodernen Wohnanlage mit Atelierturm (mit John Hejduk, Charlottenstraße 96–98) einen Namen gemacht hatte, gründete mit Götz M. Keller 1992 das Büro MK Architekten. Keller, geboren 1958 in Hamburg, sammelte nach seinem Studium in Berlin und Los Angeles ab 1983 reichlich Auslandserfahrung: in den Büros von Rem Koolhaas, Elia Zenghelis, Barton Myers, Moshe Safdie und Edward Durrell Stone.
Das mit Moritz Müller gegründete Architekturbüro leitet Keller seit 2007 als geschäftsführender Gesellschafter. Für das Luckenwalder Volltuch-Areal arbeitete er mit Hans Christian und Moritz Müller zusammen, vor Ort unterstützt durch ihren Luckenwalder Berufskollegen Axel Busch (*1940). Für die Freiflächen konnte der österreichische Landschaftsarchitekt Hans Loidl (1944–2015) gewonnen werden. Nach seinem Studium in Wien und Kopenhagen hatte er 1984 in Berlin ein Büro gegründet, das er krankheitsbedingt 2005 an seine Mitarbeiter:innen übergab. Das Büro Loidl war es auch, das den bis 2005 den im Osten an das Volltuch-Areal angrenzenden Nuthe-Park gestaltete.
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Übersichtsplan mit angrenzenden Bauten (Bild: Kartierung)
Farbe!
Die Wohnbauten des Volltuch-Areals verteilen sich, durchzogen von viel Grünfläche, auf einer annähernd quadratischen Fläche. Umfangen wird das Gelände von der Puschkin-, der Post- und der Käthe-Kollwitz-Straße sowie im Osten vom Haag, der dem organischen Schwung das Flüsschen Nuthe folgt. Auf dem Areal bilden die Neubauten Birkenweg 5 und Tuchschererweg 3–7, die zwei kreisrunde Höfe ausformen: der größere von ihnen öffnet sich nach außen, der andere bleibt im Gebäudeinneren. Diese gestaltete Mitte wird von einer Achse durchzogen, die das „Torhaus“ Puschkinstraße 45 im Nordwesten mit dem historischen, ebenfalls bis 1997 sanierten Vierseithof (1785, Umbauten 1870/1930) am Haag im Südosten verbindet.
Viele Details auf dem Volltuch-Areal erinnern an die städtebaulichen Konzepte der 1920er und 1930er Jahre, wie es in Berlin prominent durch den Architekten und Stadtplaner Bruno Taut (1880–1938) vertreten wurde. Schon Taut wusste die Abfolge der Wohnhäuser durch kleine, oft gesprosste Fensterformate oder Fensterbänder, durch Vor- und Rücksprünge sowie durch den Wechsel von kräftigen Farben zu beleben. Müller, Müller und Keller mischten die Putzoberflächen bis 1998 mit gelben Klinkerverkleidungen, die eine Brücke zu den historischen Fabrikbauten auf dem Gelände schlagen.
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Puschkinstraße 45 („Torhaus“), Blick aus der Lindenallee (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2024)
Auf lange Strecke
Schon zur Bauzeit galt das Volltuch-Areal als Initialzündung für die folgenden, gestalterisch anspruchsvollen Impulse für Luckenwalde: 1997 erhielt das Projekt den Brandenburgischen Architekturpreis. Bis heute hat sich die Wohnanlage, abgesehen von einem Brand in der Maschinenhalle (Kunsthalle) im Jahr 2022, fast unverändert erhalten. Seit kurzem genießt die Siedlung den Denkmalschutzstatus: als eines der „anspruchsvollsten Bauprojekten der 1990er-Jahre im Land Brandenburg“. Hier wurde das zur IBA 84/87 in der Großstadt entwickelte Prinzip auf das ländliche Brandenburg der Nachwendezeit übertragen und um Inspirationen aus der Zwischenkriegszeit bereichert.
Text: Karin Berkemann, Juni 2024
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Birkenweg 5, Innenhof (gestaltete Mitte) (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Thomas Drachenberg, 2023)
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Volltuchweg 1a (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2022)
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Tuchschererweg 3–7 (gestaltete Mitte) (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2022)
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Tuchschererweg 1–2, Durchblick zu Weberweg 5 (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2022)
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Tuchschererweg nach Südosten (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2024)
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Puschkinstraße 42, Hofseite (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2022)
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Puschkinstraße 49/50, Blick vo -Volltuchweg (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2022)
Luckenwalde, Wohnanlage Volltuch-Areal, Puschkinstra0e 45, Blick vom Tuchschererweg (Bild: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Marcus Cante, 2024)
Doehler-Behzadi, Marta/Marten, Michael (Bearb.), Baukultur im ländlichen Raum, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Berlin 2013.
Online-Auftritt der Kunsthalle Vierseithof Luckenwalde.
Online-Auftritt von Habbarent.
Online-Auftritt der Luba-GmbH.
Online-Auftritt des landschaftsarchitektonischen Ateliers Loidl (ehemals Hans Loidl).
Online-Auftritt von MK-Architekten (Götz M. Keller, mitbegründet durch Moritz Müller).
Eintrag zur Wohnanlage Volltuch-Areal, auf: Denkmale in Brandenburg.
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