Wo die Bauhistoriker:innen ein leicht wohliges Schaudern überkommt, da warten die Kulturdenkmale der kommenden Jahre. Doch während viele Inventarisationsprojekte noch mit den 1970er Jahren beschäftigt sind und die 1980er Jahre in der Forschung erst langsam Beachtung finden, liegen die Architekturen der 1990er Jahre allzu oft im wissenschaftlichen Niemandsland. Dabei treffen sich in der Bundesrepublik der Nachwendezeit sehenswerte Strömungen: die exaltierte Postmoderne und der wiederentdeckte Internationale Stil, die behutsame Umnutzung und das ökologische Siedlungsexperiment. Mit dem Projekt „Best of 90s“ präsentieren wir von moderneREGIONAL virtuell ausgewählte Bauten dieser Architekturwende und rücken sie damit neu ins öffentliche Bewusstsein. Damit kann eine Grundlage geschaffen werden, um das Bauen der 1990er Jahre vorausschauend und wertschätzend zu sichten – bevor Sanierungsstau und Gentrifizierungswelle für unwiderrufliche Verluste sorgen.
INHALT: Zwischenbilanz || Kriterien || Publikationen || Partizipation || Partner:innen || Ziele
Zwischenbilanz: Ein Jahr „Best of 90s“
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Kriterien: Eine Auswahl treffen
Für „Best of 90s“ sichten wir zwischen 1990 und 2000, zwischen den ersten konkreten Schritten der Einheit und dem Beginn des Millenniums, fertiggestellte Bauten in Deutschland nach klaren Kriterien: Für das Online-Format wird je Bundesland eine begrenzte Anzahl von Beispielen für den Neubau und für das Bauen im Bestand ausgewählt. Dabei sollen sich die unterschiedlichen Gattungen (z. B. öffentliches Bauen, Industriebauten, Wohnbauten) sowie die verschiedenen Jahre annähend gleichmäßig wiederfinden. Für ein dreijähriges Projekt bietet es sich an, zunächst dem Blick des Untersuchungszeitraums zu folgen. Dieser Ansatz muss dann aus heutiger Perspektive kritisch überprüft und ergänzt werden. Daher sollen in den 1990er Jahren – bei regelmäßig, bundesweit und objektbezogene ausgeschriebenen Preisen – prämierte (Um-)Bauten in die engere Wahl kommen. Um nicht dem einseitigen Blick eines Auslobers (häufig Industrie- oder Interessenverbände) zu erliegen, werden hierfür verschiedene Preise kombiniert. Darüber hinaus beraten und begleiten fachkundige „Pat:innen“ aus den einzelnen Bundesländern das Projekt, um mögliche Schieflagen zu vermeiden.
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Publikationen: Tagungsband + Fachzeitschrift
Publikation unserer Kick-off-Tagung: „Das Ende der Moderne?“, erschienen bei urbanophil
Beitrag „Denkmalschwärmen“ in der Zeitschrift „Die Denkmalpflege“ 2022/2 zum Schwerpunkt „Inventarisation im 21. Jahrhundert“
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Partizipation: Unterwegs lernen
Mit dem bauhistorischen Blick auf die Architektur der 1990er Jahre betreten wir Neuland – daher gestalten wir das Projekt bewusst als offenen Prozess: Wir lernen unterwegs, stellen unsere Auswahl und unsere Annahmen immer wieder zur Diskussionen, sprechen gezielt Fachleute an und sammeln im bereits geknüpften moderneREGIONAL-Netzwerk (über Social Media und ein Mitmach-Formular) hilfreiche Hinweise. Das Projekt, das im Mai 2021 online gestartet ist, wird zunächst auf rund drei Jahre angelegt, in denen die Homepage im Schnitt alle 14 Tage um ein ausführliches und bebildertes Bauporträt erweitert wird. Am Ende sollen knapp 100 Bauten ausführlich vorgestellt werden. Zwischendurch werden Leser:innen-Tipps in Kurzporträts eingestreut. Über die Meldungen von moderneREGIONAL können zudem passende aktuelle Nachrichten abgerufen werden. Begleitend ist über den Projektzeitrum hinweg eine Reihe von virtuellen Studientagen geplant, um erste Erkenntnisse zu diskutieren und weitere Schritte abzustimmen.
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Partner:innen: Verbündete finden
moderneREGIONAL, eine gemeinnützige UG, widmet sich seit 2014 mit einem Online-Magazin der Baukunst des 20. Jahrhunderts. Neben aktuellen Meldungen, Online-Themenheften werden auch Sparten-Schwerpunkte gebündelt, so z. B. seit 2016 mit „invisibilis“ zum modernen Kirchenbau. Seit 2018 werden auch analoge Projekte umgesetzt, darunter etwa die Wanderausstellung „märklinMODERNE“ u. a. in und mit dem Deutschen Architekturmuseum. Bei „Best of 90s“ wird moderneREGIONAL unterstützt durch Projektpartner:innen: den BDA Hessen, Baukultur NRW, die Betonisten, das Denkmalschutzamt Hamburg, das baden-württembergische Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und das Landesamt für Denkmalpflege Bremen. Beratend kommen Fachpat:innen hinzu: Kirsten Angermann, Daniel Bartetzko, Dr. Andreas Butter, Dr. Martin Bredenbeck, Dr. Matthias Ludwig und Olaf Mahlstedt. Die Redaktion liegt bei Peter Liptau, die Projektleitung bei Dr. Karin Berkemann.
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Ziele: Öffentlichkeit schaffen
Aktuell fehlt weitestgehend noch ein bauhistorischer, auch denkmalfachlicher Überblick zur deutschen Architektur der 1990er Jahre. Daher wollen wir die Bauten jener Zeit nach den oben beschriebenen Kriterien sichten, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten, eine erste, fachlich begründete Auswahl treffen und diese detaillierter vorstellen. Die im Rahmen des Projekts gesammelten Daten werden allen Projektpartner:innen zur Weiterarbeit (z. B. zur vertiefenden Inventarisation in den Regionen) zur Verfügung gestellt. Neben den fachlich mit diesem Thema befassten Kreisen wollen wir eine breitere Öffentlichkeit für das Thema interessieren, im besten Falle begeistern. Damit kann, über einen Informationspool und eine Sehschule für dieses Architekturjahrzehnt hinaus, auch eine Lobby zum Erhalt qualitätvoller Bauten dieser Zeit entstehen.
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moderneREGIONAL mit Partner:innen
Titelmotiv: Karlsruhe, L-Bank, Rechenzentrum, Heinz Mohl, 1992 (Bild: Karin Berkemann, 2021)