BAU: Römisch-Katholisches Gemeindezentrum St. Bonifatius
ADRESSE: Ostpreußenstraße 33b, 61381 Friedrichsdorf-Seulberg
BAUZEIT: 1991–1993
ARCHITEKTEN: Rolf Hoechstetter und Rainer Siegel, Darmstadt
PREISE: 1993 Johann-Wilhelm-Lehr-Plakette für gute Architektur des BDA Hessen, 1994 Architekturpreis des Hochtaunuskreises
Eigentlich ist St. Bonifatius nicht eine Kirche, sondern drei, denn hier wurden die Ausstattungsstücke aus zwei verlorenen Gottesdienststätten einbezogen. Als man in Friedrichsdorf 1993 St. Bonifatius fertigstellte, entstand damit einer der vergleichsweise wenigen Neubauten seiner Art in den 1990er Jahren. Typisch für diese Zeit, liegt der Standort im Speckgürtel einer Metropole: Das nur 20 Kilometer entfernte Frankfurt strahlt entlang der S-Bahn-Trasse bis nach Friedrichsdorf aus. Zur Weihe von St. Bonifatius gab man hier 1993 den benachbarten Gottesdienstraum St. Marien (1959) auf. Im Gefolge des Bistumsprozesses „Sparen und Erneuern“ fiel 2012/13 dann auch Herz Jesu (1913, 1950er/60er Jahre). Ende 2014 wurde St. Bonifatius schließlich selbst von der Pfarr- zur Filialkirche herabgestuft – und birgt bis heute unverzagt den baukünstlerischen Geist der 1990er Jahre.
Dem Gelände folgen
Im Süden von Friedrichsdorf, einer südhessischen Mittelstadt mit rund 25.000 Einwohner:innen im Norden von Frankfurt und Bad Homburg, errichtete man zwischen 1991 und 1993 die Kirche St. Bonifatius. Sie liegt im 1972 zugemeindeten Stadtteil Seulberg und bildet heute den römisch-katholischen Mittelpunkt der einstigen Hugenottengründung. Aktuell zählt der Bau zu den insgesamt sechs Standorten der Pfarrei St. Marien Bad Homburg-Friedrichsdorf. Die Planung und Umsetzung des neuen Gemeindezentrums St. Bonifatius oblag – auf der Grundlage eines 1988 gewonnenen Wettbewerbs – den Darmstädter Architekten Rolf Hoechstetter und Rainer Siegel. Es entstand eine dreiteilige Anlage, die sich am bewegten Gelände und an der umgebenden Bebauung orientiert.
Das Ensemble besteht aus einem tieferliegenden Pfarrhaus im Westen, einer Kirche mit Festsaal im Südosten sowie einem nördlich vorgelagerten, freistehenden Glockenturm. Die Bauglieder umfassen einen zentral entwickelten, sie gleichsam verbindenden, dabei den Niveauunterschied nutzenden und wie ein Amphitheater absteigenden Platz. In Tieflage entsprechend abgeschirmt, bietet er Raum für Versammlung und Feier sowie Begegnung und Verweilen, auch treffen hier alle Fußwege aus der Umgebung zusammen.
Blockhaft filigran
An höchster Stelle präsentiert sich der Glockenträger als filigrane Stahlkonstruktion über einer niederen Basis mit Treppenaufgang. Wie Letztere sind die Kirche und das Pfarrhaus hingegen mit rötlichen Betonsteinen verkleidet. Dabei wurde die eigentliche Kirche nach allen Seiten unterschiedlich in der Höhe gestaffelt. Gen Nordosten und Südosten wird sie durch eine Lichtwand überhöht, welche die Baukante der Nachbarschaft aufnimmt, den Gottesdienstraum von den umgebenden Straßen abschirmt und Licht ins Innere bringt. Der Zugang erfolgt über das Hauptportal von Nordosten, das man wie das Pfarrhaus vom oberen Platz- bzw. Straßenniveau erreicht. Die Nebeneingänge zur Hausmeisterwohnung und zu den Jugendräumen hingegen werden vom tieferliegenden Platzbereich her betreten.
Auf den Haupteingang folgt ein großzügiges, mit einer Glaswand zum Platz hin geöffnetes Foyer. Letzteres führt die Außentreppe im Inneren fort und erschließt darüber zugleich die unteren Bereiche des bis zu dreigeschossigen Hauptbaus. In den Kirchenraum (mit Festsaal) gelangt man seitlich von Nordwesten durch breite Türanlagen. Längsrechteckig angelegt, richtet sich sein Inneres nach Nordosten – zum Altar- bzw. Chorbereich und zur daran anschließenden, um vier Stufen erhöhten Apsis bzw. Sakramentskapelle. Mittels Schiebewand kann der Kirchenraum bei Bedarf vom hinteren, als Festsaal nutzbaren Raumteil getrennt werden.
Fast schwebend
Die innere Gestaltung und liturgische Ausstattung oblag dem Aachener Architekten und Bildhauer Ulrich Hahn. Für St. Bonifatius wählte er einfache Grundformen: Der rücklings dreistufig umfasste Altar entspricht einem Würfel. Der in die angrenzende, gleich hohe Chor-Stufenanlage gestellte Ambo wiederum ähnelt als Dreiecksprisma einem Schiffsbug. Eine besondere Lichtführung rückt den Altar und den Ambo nach vorn, zur Gemeinde hin. Dagegen steht der lippenstiftförmige Tabernakel mit Ewiglicht in der dahinterliegenden Sakramentskapelle. Ein kreisrundes Oberlicht durchbricht deren Decke über einen schiefkegeligen Schacht. 1996 erhielt der Kapellenraum ein vom Glasmaler Karl Heinz Traut geschaffenes blautoniges Fenster. Den Übergang zum Großraum markieren ein Vorhang aus dünnen Stahlstäben sowie ein von der Textilkünstlerin Anja Ritter (geborene Siebörger) gestalteter Wandbehang. Altarkreuz, Glocken, Kreuzweg, Orgel und Marienstatue stammen aus St. Marien, Turmkreuz (über dem Seiteneingang) und Wandlungsglocke (über dem Haupteingang) aus Herz Jesu.
Der klar gegliederte, flexibel bestuhlte Kirchenraum mit Festsaal wird (wie das Foyer) geprägt durch eine Wandbekleidung aus rötlichen Betonsteinen. Hinzu treten die – im Gesamtbau – unterschiedlich gestalteten Decken sowie eine geschickte Lichtführung, etwa über integrierte Oberlichtbänder. Im Kirchenraum vermitteln die seilunterspannten Stahlträger gemeinsam mit der Holzdecke eine gewisse Leichtigkeit. Von der Wand abgestellt, scheint sie im hereinfallenden Licht fast zu schweben. Auch in den anderen Räumen zeigt sich eine je individuell abgestimmte Dach- und Deckenform – von der einfachen Flachdecke bis zu Stahl-/Holzkonstruktionen über Foyer und Sitzungssaal.
Preisgekrönt
In ihrer nun gut 30-jährigen Geschichte blieb die Kirche nicht von Veränderungen verschont: Dazu gehören aktuelle Reparaturen und Sanierungen, etwa an der Dachhaut. St. Bonifatius erhielt 1993 die Johann-Wilhelm-Lehr-Plakette für gute Architektur des BDA Hessen und 1994 den Architekturpreis des Hochtaunuskreises. In der Begründung der Jury wurde die städtebaulich gelungene Einbettung hervorgehoben. „Die abfallende Topographie wird dabei geschickt und wie selbstverständlich ausgenutzt. Mit angemessen reduziertem Materialaufwand schafft die klare Architektur eine Atmosphäre von Offenheit und Konzentration, in der ein lebendiges und vielfältiges Gemeindeleben stattfinden kann.“
Hinter diesem Konzept steht die Philosophie des Architekten Prof. Dipl.-Ing. Rolf Hoechstetter (*1944), der lange an der TH Darmstadt, später an der Hochschule Trier lehrte. 1971 gründete er sein, teils in Partnerschaften geführtes Büro. „Architektur muss aus sich selbst heraus sprechen“, so der Anspruch von Hoechstetter. Im Mittelpunkt seines Bauens sieht er Tugenden wie Gelassenheit, Nachhaltigkeit, Großzügigkeit, Gebrauchsfähigkeit sowie Material- und Dauerhaftigkeit. Die Bandbreite seines Büros reicht vom Wohn- und Siedlungsbau über Bildungs- und Sozialwesen bis zu Verwaltung, Industrie und Gastronomie. Drei kirchliche Projekte stechen hervor: Neben St. Bonifatius sind hier evangelische Gemeindezentren in Bensheim und Kelsterbach sowie die Sanierung der Verwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Darmstadt zu nennen.
Text: Dr. Matthias Ludwig, Schweinfurt, 2021
Galerie
Literatur, Links und Bildnachweise
Edler von Hoessle, Alfram R./Jung, Sylvia (Bearb.), Ausgezeichnet BDA. Der BDA Hessen zeichnet gute Architektur aus. 1985 bis 1993, hg. vom Bund Deutscher Architekten (BDA) im Lande Hessen, Darmstadt 1994, S. 64 f.
Katholisches Gemeindezentrum in Seulberg. Architekten: Rolf Hoechstetter, Rainer Siegel, in: kunst und kirche 59, 1996,3, S. 214 f.
Wöhler, Till, Neue Architektur. Sakralbauten, Salenstein 2005, S. 72–73.
Römisch-Katholische Pfarrei St. Marien Bad Homburg-Friedrichsdorf
Architekturbüro Hoechstetter und Partner, Darmstadt
Hahn Helten Architektur (Ulrich Hahn), Aachen
Glasgestalter Karl Heinz Traut, Taunusstein
Handweberei Siebörger, Ober-Ramstadt
Friedrichsdorf, Herz-Jesu-Kiche, auf: invisibilis (moderneREGIONAL)
bauzeitliche Bilder/Titelmotiv (soweit nicht anders angegeben): Hoechstetter und Partner, Darmstadt, frühe 1990er Jahre, aktuelle Bilder (soweit nicht anders angegeben): Karin Berkemann, 2020
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