BAUTEN: 1) Stadthaus, 2) Daimler-Benz-Forschungszentrum, 3) Weishaupt-Forum
ADRESSEN: 1) Münsterplatz 50, 89073 Ulm, 2) Wilhelm-Runge-Straße 13, 89081 Ulm, 3) Max-Weishaupt-Straße 14, 88477 Schwendi
BAUZEITEN: 1) (1987/88) 1991–1993, 2) 1989–1992, 3) 1989–1993
ARCHITEKT: 1)–3) Richard Meier, New York/Los Angeles
Eigentlich beginnt die Geschichte zwischen der Stadt Ulm und dem Architekten Richard Meier (*1934) knapp 50 Jahre vor seiner Geburt. Im späten 19. Jahrhundert, im Fahrwasser des Historismus, vollendet man nach langer Pause das Münster mit dem (bis heute) höchsten Kirchturm der Welt. Doch der Platz davor erscheint viel zu klein, um den Bau wirklich zur Geltung kommen zu lassen. So wird entschieden, das Barfüßerkloster südwestlich der Münsterfassade niederzureißen. Schon bald ist klar, dass dieser neue zugige ausufernde Platz wiederum nicht funktioniert. „Die Eröffnung des Stadthauses“, so die Pressemappe zu diesem Anlass am 13. November 1993, „markiert den Abschluss eines geradezu auf legendäre Weise in die Länge gezogenen Kapitels deutscher Architekturgeschichte.“ Es waren knapp 105 Jahre, 17 Wettbewerbe, dutzende Volksabstimmungen, mehrere Fehlstarts und zahllose hitzige Debatten nötig, bis schließlich der Entwurf des US-amerikanischen Architekten Richard Meier umgesetzt wurde – eines von insgesamt drei Projekten seines Büros in und um Ulm.
Das Stadthaus und der Münsterplatz
Im Rahmen eines 1985 initiierten „Maßnahmenbündels namens Stadtqualitätsprogramm“, so der damalige Baudezernent Alexander Wetzig, sollte ganz Ulm durch wertige öffentliche Räume attraktiver werden. Kurz darauf, im Jahr 1986, wurde der letzte und zielführende Architekturwettbewerb für das Stadthaus ausgelobt. Unter den Eingeladenen fanden sich große Namen wie Hans Hollein (der absagte), Gottfried Böhm (der 20 Jahre später die dortige Stadtbücherei plante), Heinz Mohl, das Büro Kammerer und Belz sowie der US-Amerikaner Richard Meier. Letzterer war damals bereits Träger des Pritzker-Preises und hatte in Deutschland mit dem Frankfurter Museum für Kunsthandwerk (1985, heute Museum für angewandte Kunst) Fuß gefasst. Auch in Europa befanden sich gerade zwei seiner Großprojekte im Bau: die Pariser Zentrale des Senders Canal Plus (1992) und das Museum für zeitgenössische Kunst in Barcelona (1995).
Für Ulm entwickelte Meier nicht nur einen solitären Baukörper (in respektvollem Abstand zum Münster), sondern einen programmatischen Dialog zwischen Architektur und Stadtlandschaft. Neben der Platzneugestaltung entwarf er ein (nicht umgesetztes) Bankgebäude und einen (realisierten) Kiosk in unmittelbarer Nachbarschaft. Im diskussionsfreudigen Ulm stießen diese Pläne nicht nur auf Begeisterung. Es kam zu einem Bürger:innenentscheid, bei dem die Stadthausgegner:innen aber das 30-Prozent-Quorum verfehlten und damit scheiterten. Nachdem man bereits 1987/88 mit den Erdarbeiten begonnen, dabei den Baugrund archäologisch untersucht und die Funde gesichert bzw. dokumentiert hatte, starteten 1991 die Bauarbeiten.
Ein offenes Haus
Richard Meier verteilte 3600 Quadratmeter Nutzfläche auf einem geschwungenen Grundriss, geformt wie ein Schlüssel – zur Stadt und zum Münster. Die Baukörper fügen sich aus geometrischen Grundformen, zitieren gleichzeitig die typisch ulmischen Spitzdächer der Nachbarhäuser. Durch den Wechsel von Putz- und Glasflächen ergeben sich Rahmenschauen auf das ehrwürdige Münster. Im Inneren gliedert sich das Stadthaus in mehrere Funktionsebenen: die Touristinfo im Erdgeschoss und die Dauerausstellung zur Geschichte mit Grabungsfunden im Untergeschoss. Hinzu kommen der Saal und der Restauranttrakt sowie Flächen für Wechselausstellungen im zweiten und dritten Obergeschoss. Als Krönung bieten die Terrassen in den oberen Ebenen verschiedene Ausblicke in den Stadtraum. Im gesamten Haus sind die Bereiche nur dort durch Türen abgetrennt, wo es unumgänglich scheint – ansonsten gehören Durchsehen und Mithören zur Inszenierung.
Das Pflaster des Platzes, der bis dato nur als Parkfläche gedient hatte, erhielt von Meier ein großformatiges Gittermuster, das er aus der Geometrie des Münsters ableitete. Genutzt wurde rosa Granit, wie er sich auch in Boden- und Sockelbelägen des Stadthauses wiederfindet. Bis heute folgt man hier dem Prinzip des offenen Hauses: Von Anbeginn an sind die Ausstellungsräume tagsüber kostenfrei geöffnet. Das Stadthaus spannt den Bogen von der großen Vergangenheit der freien Reichsstadt zur Zukunft der Wissenschaftsstadt. Dies zeigt sich auch in den zahlreichen Vorträgen, die (meist ebenfalls frei zugänglich) im dortigen Saal stattfinden.
Das Daimler-Benz-Forschungszentrum
Das Stadthaus kann als eines der architektonischen Aufbruchssignale von Ulm verstanden werden, deren zweites nahezu gleichzeitig errichtet wurde: 1987 entstand die Idee, auf dem Eselsberg (vier Kilometer nordwestlich vom Zentrum) eine Wissenschaftsstadt zu entwickeln. Dafür wollte man die Universität erweitern, neue Institute zur Grundlagenforschung ansiedeln, Firmen in einem Science-Park bündeln. Hinzu kam das Forschungszentrum der Daimler-Benz AG. Das Unternehmen erwarb das Gelände 1989 von der AEG – neben einem bereits im Bau befindlichen Institut. Daimler-Benz entschied sich, den zweiten Abschnitt von Richard Meier planen zu lassen und das Ensemble damit in die Liga hochkarätiger Hochschularchitekturen einreihen: Steht doch auf dem gegenüberliegenden Berghügel die Hochschule für Gestaltung von Max Bill aus den 1950er Jahren und in etwa zwei Kilometer Luftlinie östlich die Fachhochschule von Günther Behnisch aus den 1960ern.
Geplant waren 63.000 Quadratmeter Nutzfläche für ein heute eher Forschungscampus genanntes Ensemble mit etwa 1000 Mitarbeiter:innen: mit drei Forschungsbauten und einem Kommunikationsgebäude, U-förmig um einen langen Platz gruppiert. In einem Wasserbecken, das kaum aus der Rasenfläche hervortritt, bildet die darin platzierte rote Baumskulptur von Christoph Freimann einen Gegenpol zur streng-weißen Architektur Richard Meiers. Weitere Gebäude sollten die Anlage komplettieren, wurden aber auf später verschoben und letztendlich nicht mehr umgesetzt. Dadurch nimmt die Kantine heute zusätzliche, nicht ursprünglich dafür vorgesehene Funktionen auf. Eröffnet wird das Forschungszentrum im Oktober 1993 – knapp einen Monat vor dem Stadthaus, aber nach der Einweihung des dritten Meier-Projektes im Raum Ulm.
Das Weishaupt-Forum in Schwendi
Das Weishaupt-Forum wurde als letztes Gebäude der Ulmer Meier-Trias begonnen (der Projektstart lag 1989) und 1992 als Erstes seiner Bestimmung übergeben. Etwa 25 Kilometer südlich von Ulm, produziert die Firma Weishaupt im oberschwäbischen Örtchen Schwendi seit den 1950er Jahren Heizbrenner. Der Sohn des Firmengründers Max Weishaupt, der kunstsinnige Siegfried Weishaupt, beauftragte 1989 Richard Meier mit der Erweiterung des Firmensitzes. Das Unternehmen setzte schon in den 1960er Jahren auf gutes Design, arbeitet mit der Hochschule für Gestaltung Ulm (Hans Gugelot und Hans Sukopp) zusammen. Auf dem Gelände sollte ein Gebäude für mehrere Funktionen entstehen: als Ausstellungsraum für die hochkarätige Kunstsammlung des Firmeninhabers und als Showroom für die Heizbrenner zugleich, daneben Schulungsräume, Küche und Speisesäle für die Angestellten.
Mit seinen 5.200 Quadratmetern Nutzfläche geriet das Projekt größer als das Ulmer Stadthaus. Es bildet, gegenüber dem Firmensitz aus den 1950er Jahren, das Eingangstor zum Werksgelände. Auf dem glatten grünen Rasen, der extra dafür eingeebnet wurde, soll der Bau wie eine freistehende Skulptur wirken. Zwei Baukörper sind mit einem Glasgang verbunden, der parallel zur Werkstraße verläuft. Technisch verschließt sich das Ensemble der Straße, bietet aber durch seine Transparenz viele Durchblicke. Im Innenhof steht (bewusst nicht in die Mitte gesetzt) eine Eiche, die dafür aus Norddeutschland herbeigeschafft wurde – als wäre sie schon immer dort gewesen. Im Gegensatz zu den Putzflächen des Ulmer Stadthauses wurde das Weishaupt-Forum vollständig mit weißen Aluminiumplatten verkleidet. Sie verleihen dem Bau, so Meier einen „fast porzellanartigen“ Anschein. Selbst die Ständer der Produktpräsentation wurden vom Architekten höchstpersönlich entworfen.
Der Architekt und die Stadt
Im Ulmer Raum finden wir heute drei auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Bautypen von einem einzigen Architekten. Alle zeigen Richard Meiers typische Handschrift, vor allem seine Vorliebe für geometrische Grundformen und Transparenz (im umfassenden Sinne). Sie ähneln sich auch in ihrer Funktion: Sie dienen dem Dialog – sie vermitteln Technik, Wissenschaft bzw. Kunst. Nirgendwo sonst in Europa finden Architekturbegeisterte so viel Meier auf einmal. 1993 (und wohl auch einige Male in Folge) bot man eine Bustour zu allen drei Bauten an. Deren Qualität wird durch die Unterschutzstellung des Stadthauses und des Weishaupt-Forums im Jahr 2019 amtlich bestätigt. Auch wenn das Forschungszentrum nicht vollständig umgesetzt wurde und heute nicht mehr in den Händen der Daimler-Benz AG liegt, so ist es in seiner Architektursprache dennoch gut erhalten und erfahrbar. Siegfried Weishaupt hat indes seit 2008 auch einen Fuß in der Ulmer Innenstadt, in Rufweite des Stadthauses: In der Neuen Mitte, einer „Stadtreparatur“ gegen die Verkehrsplanungssünden der Nachkriegszeit, steht die Kunsthalle Weishaupt. Es wurde gestaltet nach den Plänen des Architekten Wolfgang Wöhr, der während des Baus in Schwendi bei Richard Meier angestellt und für die Betreuung des Weishaupt-Forums zuständig war.
Text: Peter Liptau, 2021
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Literatur, Links und Bildnachweise
Blaser, Werner, Weishaupt-Forum in Schwendi, in: glasforum 6, 1994, S. 15 ff.
Blaser, Werner, Weishaupt Forum Schwendi, hg. von der Max Weishaupt GmbH, Ostfildern 1993.
Flagge, Ingeborg, Kulturbauten in Ulm, in: ulm neu, Stadtraum und Architektur, hg. von der Stadt Ulm, Ulm 1998, S. 93 ff.
Flagge, Ingeborg/Ewe, Thorwald, in: Richard Meier – Daimler Benz Forschungszentrum Ulm, Ostfildern 1993.
Ullmann, Gerhard, Ästhetik pur – Richard Meiers Stadthaus in Ulm, in: glasforum 2, 1994, S.12 ff.
Pressemappe zur Eröffnung des Stadthauses Ulm, 1993.
Der Autor dankt Karla Nieraad, Leiterin des Stadthauses, für ihre freundliche Unterstützung bei der Recherche.
Richard Meier & Partners Architects LLP, New York/Los Angeles
Titelmotiv: Ulm, Stadthaus (Bild: PD, via pixaby.com)
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