BAU: Ehemalige Zentrale der Deutschen Bahn AG
ADRESSE: Stephensonstraße 1, 60326 Frankfurt am Main
BAUZEIT: 1991–1993
ARCHITEKT: Stephan Böhm, Köln
Wer gerne etwas darüber erfahren möchte, wie der für die DB AG errichtete Bau an der Stephensonstraße in Frankfurt auf Menschen wirkt, dem sein ein Blick in die Internetseiten des „Deutschen Architekturforums“ empfohlen. Hier tauschen sich interessierte Laien mit teilweise gut informierten Menschen über Planungen wie über Gebäude aus. Der in diesem Fall fast schon zu erwartenden Ablehnung – die Rede ist von einem furchtbaren Gebäude – stehen anerkennende Urteile gegenüber: „Hat aus einigen Blickwinkeln etwas Utopisches und Technisches und könnte in manchem Science-Fiction vorkommen“, meint eines der Forummitglieder, „klassisch schön ist sicher etwas anderes, aber das Gebäude hat auch was“, ein anderes. „Ich war schon mal im DB-Gebäude und es ist wirklich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Freundlich und lichtdurchflutet ist es drinnen“ lässt uns eine Person wissen, und eine meint sogar: „Das DB Gebäude ist meiner Ansicht nach eines der besten Gebäude in ganz Frankfurt!“ Offensichtlich handelt es sich also um ein Gebäude, das sich dem Betrachtenden nicht auf den ersten Blick erschließt, dessen Einordnung in gewohnte Schemata schwerfällt, das aber um so mehr Faszination ausübt, je intensiver die Auseinandersetzung mit ihm geführt wird.
Klassisch, nicht klassisch
Die stark auf Symmetrien aufbauende Komposition teilt das Gesamtvolumen in einzelne Kuben auf. Drei Riegel, von der Achtgeschossigkeit in der Mitte zu fünf Stockwerken am Rand abgetreppt, sind mit dazwischenliegenden, freistehenden Kuben zur Blockrandbebauung geschlossen. Verglaste Gänge verbinden die Baukörper miteinander. In Querrichtung wird das Gebäude von einer Passage durchzogen. Es entstehen so vier innenliegende, nicht überdachte Höfe. Den Hochpunkt findet diese Komposition in der Mitte des Grundstücks in einem 65 Meter hohen Turms. Er ist jedoch weniger als ein Solitär erlebbar, sondern scheint Teil eines Massivs zu sein. In sich wiederholt er die aus einzelnen Quadern aufgebaute Komposition nochmals und steigert sie so auf raffinierte Weise.
Die Tragstruktur aus Betonstützen ist überall vor die Fassade der einzelnen Baukörper verlegt, sie verleihen dem Gebäude die kraftvolle, industrielle Anmutung, die viele dazu verleitet, dieses Haus als brutalistisch zu bezeichnen. Tatsächlich sind viele überrascht zu hören, dass das Gebäude nicht in den 1970er Jahren, sondern 1993 fertiggestellt wurde. Entworfen hat es Stephan Böhm (*1950) , einer der Söhne von Gottfried Böhm. Stephan Böhm wurde 1990 Partner im Büro des Vaters, dessen Einfluss insofern sichtbar ist, als auch hier zeittypische Architekturelemente zu einer ganz eigenen Sprache gefügt werden, die in diesem Fall eben doch auf eine eigensinnige Weise klassisch wirkt, und, wie viele Beispiele der die 1980er bestimmenden Postmoderne, an historischen Beispielen geschult scheint. Dies legt etwa der Blick auf den Grundriss und die symmetrische Ordnung nahe. Auch der dem Eingang vorgelagerte Kreissegmentbogen erinnert an barocke Entrees.
Von brutalistischer Qualität
Zu den Kriterien, nach denen Bauwerke als brutalistisch eingestuft werden, gehört meist die rhetorische Qualität, die Herstellung und Material der Architektur betont und überhöht. Dies trifft hier insofern zu, als die Tragstruktur nicht nur gezeigt, sondern als Ausdrucksträger überhöht wird. Der genaue Blick offenbart, dass nicht nur die V-förmige Aufgabelung der Stützen diesem Gedanken folgen, sondern dass zudem die Betonfertigteile, aus denen das Haus gefertigt ist, keine einfachen Quader bilden, sondern detailliert behandelt sind. So haben die Stützen beispielsweise profilierte Kanten, die waagrechten Bauteile sind reliefiert.
Ein weiteres Stilelement wird dominant, wenn man durch den zurückgesetzten, in Gebäudehöhe verglasten Eingang in die 17 Meter hohe Passage tritt, die das Gebäude in Ost-West-Richtung durchzieht. Schon von außen lässt sich die rotgestrichene Stahlkonstruktion erkennen, die es prägt. Sie ist eine deutliche Referenz an die High-Tech-Architektur eines Richard Rogers oder Norman Forsters, die solche farbigen Akzentuierungen oft vorgenommen haben. Eine andere Referenz in Bezug auf den roten Stahl könnte das Aachener Klinikum sein, das fünf Jahre vor dem Baubeginn in Frankfurt fertiggestellt worden war. Es steht seit 2008 unter Denkmalschutz. In Frankfurt könnte die Unterschutzstellung bevorstehen, wie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) im Dezember 2020 angedeutet wurde: Beim ehemaligen Hauptquartier der Deutschen Bahn handele es sich um ein herausragendes Beispiel für ein Verwaltungsgebäude, das der Architekt dem Unternehmen gewissermaßen wie eine Einzelanfertigung auf den Leib geschneidert habe, so wird dort die Denkmalschutzbehörde zitiert. Und weiter: Stephan Böhm verarbeite „die Einflüsse des sogenannten Betonbrutalismus mit Elementen der in Frankfurt populären Postmoderne sowie des Technizismus im Sinne des berühmten Pariser Museums Centre Pompidou.“
Solitär am Ort und im Werk
In dieser Mischung der rhetorischen Mittel kann durchaus ein Bezug zur Bauherrschaft wie zum Ort hergestellt werden: Für die DB Hauptverwaltung, genauer gesagt als Sitz der Personenverkehrsgesellschaften, in dem bis 2009 auch noch die Frankfurter Vorstandsbüros untergebracht waren, kann der repräsentative Gestus nachvollzogen werden; aber genauso ist die Überhöhung des Technischen dem Gebäude eines Infrastrukturkonzerns angemessen – und passte zum Standort, der sich ursprünglich in unmittelbarer Nachbarschaft zu Gleiskörper und bahntechnischen Anlagen des Güter- und Rangierbahnhofs befand. Die Bahnanlagen sind inzwischen verschwunden, an ihrer Stelle wuchs in den letzten Jahren das Europaviertel. Diese Entwicklung war freilich zu Beginn des Baus ebenso wenig absehbar war wie die Verlegung des Hauptsitzes der Deutschen nach Berlin, weshalb auch eine ursprünglich vorgesehene Erweiterung nicht mehr in Angriff genommen wurde.
2010 wurde das Gebäude verkauft. Die etwa 45.000 Quadratmeter Fläche wurden an die Deutsche Bahn vermietet, die bis Ende 2020 ausgezogen ist. Inzwischen im Besitz von Gesellschafter:innen eines Immobilienfonds, soll das Gebäude nun so umgebaut werden, dass es von mehreren Firmen genutzt werden kann. „Mit seinen riesigen, hochwertigen Sichtbetonflächen, guten Raumkonfigurationen und eindrucksvollen Sichtachsen weist es eine hohe architektonische Qualität auf“, wurde in der FAZ eine Sprecherin der Eigentümerschaft zitiert. Tatsächlich war die „Bahnpyramide“ bei den Mitarbeiter:innen beliebt, haben doch die hellen und gut proportionierten Büroräume, die ausgewogene Balance von Verkehrs-, Aufenthalts- und Arbeitsräumen eine Qualität, die das Äußere nicht so ohne Weiteres preisgibt. Besprechungsräume, loftähnliche Zonen und kleinere Büros wechseln sich, die äußere Gliederung sorgt auch im Innern für Struktur. Aus ökologischer Sicht macht der Erhalt des Gebäudes ohnehin Sinn, werden doch so nicht – wie so oft in Frankfurt – große Mengen an im Gebäude gespeicherter grauer Energie vernichtet. Um Adressbildung braucht man sich bei dem eigenwilligen Gebäude sowieso keine Sorgen zu machen, auch in der neuen Umgebungsbebauung des Europaviertels ist es einzigartig geblieben.
In gekonnter Balance
Auch im Werk des Büros Böhm ist die DB Zentrale ein Solitär, wenn sich auch einzelne Stilelemente wiederfinden lassen, wie der rot akzentuierte Einsatz von Stahl bei den WDR-Arkaden in Köln (1993–1996) oder dem Hans-Otto-Theater in Potsdam. Der Umgang mit großen Volumen, vorgefertigten Elementen in einer gekonnten Balance, die die Raumqualität nicht einer Überwältigungsgestik opfert und dennoch eine monumentale Präsenz ausstrahlt, lässt vielleicht noch an die Züblin-Zentrale in Stuttgart denken, die 1985 fertiggestellt wurde. Wie die große Glashalle des Züblin-Baus ist auch in Frankfurt die zentrale Glaspassage übrigens unbeheizt und Teil des Energiekonzepts des Gebäudes. Ansonsten aber hat der für einen Bau von 1993 befremdliche Anklang an die Architektur der 1970er Jahre zwar zu einem beeindruckenden Ergebnis geführt, aber keine Fortsetzung mehr gefunden.
Text: Christian Holl, BDA Hessen, 2021
Galerie
Fotos aus der Bauzeit
Links und Bildnachweise
Stephan Böhm Architekten, Köln
Stephan Böhm: Deutsche Bahn AG Headquarters, 1991?–1993, auf: sosbrutalism.org
aktuelle Bilder (soweit nicht anders angegeben): Gregor Zoyzoyla, 2021, historische Bilder (soweit nicht anders angegeben): mit freundlicher Genehmigung des Büros Stephan Böhm (einzelner Bildnachweis siehe jeweils am Bild).
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