BAU: Evangelische Auferstehungskirche
ADRESSEN: Lindenallee 35, 18437 Stralsund
BAUZEIT: 1989–1991, geplant im Rahmen des Sonderbauprogramms
MITWIRKENDE: Bauabteilung der Evangelischen Landeskirche Greifswald; Friedrich Press (Altarraumgestaltung)
Der Grundstein für die Stralsunder Auferstehungskirche wurde am 1. Juni 1989 gelegt. Damit gilt sie als letzte Kirche, mit deren Arbeiten noch zu DDR-Zeiten begonnen wurde. Bereits knapp zwei Jahre später, am Palmsonntag (24. März) 1991, konnte das Ensemble – in einem inzwischen wiedervereinigten Land – am Rand des Plattenbauviertels Grünhufe eingeweiht werden. Nach außen wagt die Auferstehungskirche mit einem eingezogenen Glockenturm mit Kreuz eine durchaus selbstbewusste Geste. Im Inneren wird das Patrozinium durch eines der letzten Werke des Dresdener Künstlers Friedrich Press betonplastisch wieder aufgegriffen.
Stralsund, Auferstehungskirche, Jugendkirche zur Kirchstraße (Bild: Kugschnacker, CC BY SA 3.0, 2008)
Im Sonderbauprogramm
Während Kirchenneubauten vor 1957, vor der Einsetzung des ersten Staatssekretärs für Kirchenfragen, in der DDR teilweise noch möglich waren, sollte sich die Situation danach zunehmend schwierig darstellen. In den frühen 1970er Jahren wiederum wurde offiziell der Beschluss gefasst, Kirchensanierungen oder unter besonderen Umständen – etwa am Rand der wachsenden Trabantenstädte – auch neue Kirchenbauten zuzulassen. Die Voraussetzung dafür waren die dringend benötigten Devisen, die dafür von den westdeutschen Kirchen gezahlt werden sollten. Als offizielle Begründung nannte die DDR-Regierung, dass man nur so die Arbeit der christlichen Konfessionen in den Privatwohnungen und halböffentlichen Hauskreisen überblicken und kontrollieren könne.
Im engeren Sinne sollten im sog. Sonderbauprogramm mehr als 80 Gottesdiensträume entstehen, die in der Regel in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Bauämtern der ostdeutschen Landeskirchen und Bistümern umgesetzt wurden. Solche Entwürfe durften sich gegen Ende der 1980er Jahre achitektonisch auch etwas selbstbewusster präsentieren. Hinzu kamen im Zuge der Altstadtsanierungen immer wieder Renovierungsprojekte historischer Kirchen, die ebenfalls mit westlicher Unterstützung möglich gemacht werden konnten. Die Ausläufer des Sonderbauprogramms sollten bis in die frühen 1990er Jahre fortwirken, als letzte Kirchenbauten (ein-)geweiht werden konnten, darunter auch die Stralsunder Auferstehungskirche.
Stralsund, Auferstehungskirche, Nachbarschaftszentrum zur Lindenallee (Bild: kirche-mv.de)
Als Ensemble
Das Stralsunder Neubauviertel Grünhufe wuchs in den 1980er Jahren am westlichen Stadtrand. In Ermangelung einer eigenen Kirche organisierte sich das evangelische Gemeindeleben anfangs in der Wohnung des damaligen Pfarrers Wolfgang Lück. Wo die Lindenallee auf die Kirchstraße trifft, wo die Plattenbauten in eine spätere kleinteilige Siedlungsstruktur übergehen, wurde die Auferstehungskirche 1991 platziert. Im Norden schließt die Wohnbebauung der 1980er Jahre an, im Osten findet sich ein Einkaufszentrum, im Südwesten ein Hotelbau. Das freistehende kirchliche Ensemble zeigt nach außen gelben Klinker. Nach Nordosten, zur Kirchstraße hin, wird der quergerichtete Gottesdienstraum durch den eingezogenen Glockenturm und durch den als Dreiecksgiebel hervortretenden, doppelt gestaffelten Altarraum markiert. Das Dreiecksfenster im Giebelfeld setzt sich mittig durch einen schmalen Fensterschlitz nach unten fort.
Mit Sprossenfenstern, Satteldächern, Gauben sowie Halbkreis-, Dreiecks- und Sprossenfenstern spielt die Architektur der Auferstehungskirche im postmodernen Sinne mit traditionellen Stilelementen. Auf einem annähernd quadratischen Grundriss gruppieren sich der Gottesdienstraum, die Gemeinde- und Funktionsräume um einen offenen, ebenfalls quadratischen Innenhof. Der Kichsaal wird im Inneren durch die weiß gefassten Wände und den offenen Dachstuhl aus hellem Kiefernholz geprägt. Über eine Schiebewand kann ein weiterer Raumteil zugeschaltet werden.
Stralsund, Auferstehungskirche, Altarraumgestaltung von Friedrich Press (Bild: Nachbarchschaftszentrum Grünhufe, via google-maps)
Gen Auferstehung
Bestimmend – und der einzige figürliche Schmuck – ist die Altarraumgestaltung, eines der letzten Werke des Dresdener Malers und Bildhauers Friedrich Press (1904–1990), der in der DDR-Zeit vorwiegend im kirchlichen Raum aktiv war. In der für ihn typischen, auf stereometrische Körper konzentrierten Formensprache wählte er für Stralsund das Thema Auferstehung, genauer gesagt, den ungläubigen Thomas. Nach der biblischen Erzählung (Johannes 20) ließ er sich vom Auferstandenen erst überzeugen, als er ihn berühren durfte. Die Figurengruppe wurde als Betonguss über einer Edelstahlarmierung ausgeführt. Auf die golden hinterlegte Seitenwude Jesu weist eine übergroße Hand, die je nach Betrachter:innenperspektive zum Auferstandenen selbst oder zum wohl links von ihm positionierten Thomas gehören kann.
Um diese mittige Szene scharen sich weitere Jünger, die als Betonreliefs an die Wände gebunden bleiben. Christus hingegen, als einzige Figur vollplastisch umgesetzt, wendet sich – vom Lichtschlitz hinter ihm überstrahlt – frontal den Gottesdienstbesucher:innen zu. Diese werden über die Jüngerreliefs, die sich um die Ecke des Altarraums hinweg ein Stück in den Saal ziehen, zeichenhaft mit in die Zeugenschaft der Auferstehung hineingenommen. Auch den Altarblock, die Kanzel und den Taufstein ließ Press aus der schalungsrauen Betonoberfläche der Figurengruppe emporwachsen. Heute wird dieses Material positiv als Verbindung der Kirche zur Plattenbausiedlung Grünhufe gedeutet.
Stralsund, Auferstehungskirche, 1991 (Bild: historische Postkarte)
Im Quartier
Nach der deutschen Wiedervereinigung legte man die Luther- und Auferstehungsgemeinde in Stralsund zusammen. Seit 2005 wird der Gottesdienstraum vorwiegend als Jugendkirche genutzt, während im übrigen Ensemble – in Trägerschaft des Kreisdiakonischen Werks – ein Nachbarschaftszentrum für die sozialdiakonische Arbeit untergebracht ist. Das Angebot wird abgerundet durch gelegentliche orthodoxe Gottesdienste und einen Umsonstladen, der Sachspenden gratis an Bedürftige weitergibt. Für diese funktionale Vielfalt bietet das Gemeindezentrum von 1991 bis heute die besten Voraussetzungen: Der Altarraum ist durch den sichtbar belassenen Beton und die markante künstlerische Gestaltung deutlich hervorgehoben. Demgegenüber kann der helle Saal mit beweglichem Mobiliar jeweils passgenau für die unterschiedlichsten Anlässe hergerichtet werden.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald, Dezember 2022
Stralsund, Auferstehungskirche, Nachbarschaftszentrum (Bild: Nachbarchschaftszentrum Grünhufe, via google-maps)
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Kirchenporträt, auf; kirche-mv.de.
Online-Präsenz des Nachbarschaftszentrums Grünhufe.
Titelmotiv: Stralsund, Auferstehungskirche (Bild: kirche-mv.de) Zu Bildrechten nach Creative Commons informieren Sie sich bitte online über die entsprechenden Bestimmungen.