Berlin, GSW-Hochhaus (Bild: Tom Waterhouse, CC BY NC 2.0, via flickr, 2005)
BAU: GSW-Hochhaus (Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbau-Gesellschaft Berlin mbH, seit 2017: Rocket Tower)
ADRESSE: Charlottenstraße 4, 10969 Berlin
BAUZEIT: 1958–1961 (Altbau), 1995–1999 (Erweiterung, Neubau)
ARCHITEKT:INNEN: Paul Schwebes, Hans Schoszberger (Altbau); Sauerbruch Hutton (Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton, Erweiterung, Neubau)
PREISE: 2000 Architekturpreis BDA Berlin, 2001 Deutscher Fassadenpreis (VHF), 2003 Bauphysikpreis u. a.
Das Architekturbüro Sauerbruch Hutton setzte 1999 ein weithin sichtbares Zeichen für ein neues, ein buntes Berlin. Bis kurz vor der deutschen Wiedervereinigung hatte im Westteil der Stadt unter Bausenator Hans Stimmann noch das steinerne Grau vorgeherrscht. Doch nun wurde das GSW-Hochhaus aus dem Jahr 1961 nicht nur um weitere Baukörper ergänzt, sondern auch durch Farbakzente hervorgehoben. Rasch fand dieses Ensemble Anerkennung in der Fachwelt, einige Entwürfe und ein Modell gingen sogar in den Bestand des New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) über. In den letzten Monaten macht das GSW-Hochhaus allerdings negative Schlagzeilen, da die neuen Eigentümer:innen die rottonige Fassadenelemente ersetzen wollen. Die Expert:innen fürchten, dass damit eine der Ikonen der Berliner Nachwendezeit ihren besonderen Charakter verlieren könnte.
Berlin, GSW-Hochhaus – links und rechts die Erweiterungen von 1999, in der Mitte der Ursprungsbau von 1961 (Bild: Dosseman, CC BY SA 4.0, 2021)
Der Vorgänger
Inmitten der vielgliedrigen Anlage liegt bis heute ein Hochhaus, das 1961 nach den Entwürfen von Paul Schwebes (1902–1978) und Hans Schoszberger (1907–1997) fertiggestellt wurde. Diese 17-stöckige Stahlbetonskelettkonstruktion diente als Hauptverwaltung der GSW (Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbau-Gesellschaft Berlin mbH). In direkter Nachbarschaft zum Springer-Gebäude und zur Mauer spielte das Hochhaus auch im Kalten Krieg eine Rolle: Auf seiner Spitze wurde im Auftrag des Berliner Senats ein Leuchtband installiert, das West-Nachrichten gen DDR sichtbar machte.
Das Architektenduo Schwebes-Schoszberger war in West-Berlin um 1960 allgegenwärtig. Vom Zentrum Zoo (heute: Bikini Berlin) über das Hilton-Hotel (heute: Intercontinental) bis zum Telefunken-Hochhaus – ihre vielgeschossigen Blöcke und Scheiben prägten die Nachkriegsgestalt der Stadt. Für das GSW-Hochhaus wählten sie am Kreuzungspunkt der Markgrafen- und Kochstraße (später: Rudi-Dutschke-Straße) einen hochaufragenden Quader auf quadratischem Grundriss, der nach Osten zur Markgrafenstraße um einen dreistöckigen Flachbau auf längsrechteckigen Grundriss ergänzt wurde.
Berlin, GSW-Hochhaus – nach Westen, zur Charlottenstraße, zeigt die Hochhausscheibe ihre beweglichen rottonigen Fassadenelemente (Bild: Gunnar Klack, CC BY SA 4.0, 2020)
Die Erweiterung
Das damals junge Büro Sauerbruch Hutton – von Laura Hutton und Matthias Sauerbruch 1989 gegründet – ging 1991/92 siegreich aus dem offenen zweistufigen Architekturwettbewerb hervor. Ihren Plänen legten sie eine genaue Analyse des Standorts und seiner städtebaulichen Entwicklung von 18. bis ins 20. Jahrhundert zugrunde. Mit dem Vorgefundenen wollten sie, so ihr erklärtes Ziel, „konstruktiv und kreativ“ umgehen – als sichtbares Zeichen der „Rückkehr einer sinnlichen Architektur“. Dabei blieb der Hochhausquader von 1961 erhalten, der zeitgleich umgesetzte Flachbau zur Markgrafenstraße hingegen wurde niederlegt.
Bis 1999 ergänzte das Büro Sauerbruch Hutton drei Elemente: Im Westen, zur Charlottenstraße hin, erhebt sich nun eine schmale 22-stöckige Hochhausscheibe. Dieser ist nach Norden, zur Rudi-Dutschke-Straße hin, ein langgestreckter dreistöckiger Flachbau zur Seite gestellt, der nach Süden in einen Sockel für die Hochhausscheibe übergeht. Auf dem schwarz verblendeten Flachbau balanciert im Nordosten, zur Markgrafenstraße hin, ein ebenfalls dreistöckiger Turm auf ovalem Grundriss, die sog. Pillbox. Damit wurde die Anlage im Bauvolumen vergrößert und nach Südosten zum Umfeld geöffnet. Die nach innen schwingenden Grundrisse von Scheibe und Flachbau, die rottonigen Akzente der Westfassade und die grün-blau-grau-gelbe Wellblechverkleidung des Rundturms brachten das Ensemble städtebaulich neu zur Geltung. Im weiteren Schaffen des Büros Sauerbruch Hutton finden sich die schon beim GSW-Hochhaus typischen Merkmale wieder – vom sich amorph in den Stadtrundriss schlängelnden Umweltbundesamt in Dessau (2005) bis zu den farbigen Fassadenakzenten des Luisenblocks des Bundestags in Berlin (2021).
Berlin, GSW-Hochhaus – nach Nordosten macht der aufgesetzte Rundturm durch die gelb-grün-blau-graue Wellblechverkleidung auf sich aufmerksam (Bild: Jean-Pierre Dalbera, CC BY 2.0, 2013)
Die Fassade
Mit beweglichen, gelochten, farbig lackierten Alublechen sollte die weithin sichtbare Westfassade der Hochhausscheibe zum veränderlichen Kunstwerk erhoben werden. Doch nicht allein der zwischen Rosa, Orange und Rot spielende Effekt war gewünscht, dahinter stand ein ausgeklügeltes „Niedrigenergiekonzept“. So nachhaltig man den Bestandsbau in das neue Konzept eingebunden hatte, so sparsam wollte man auch mit den übrigen Ressourcen umgehen. Durch die beweglichen, für jedes Büro individuell regelbaren Sonnenblenden ließ sich das Tageslicht optimal nutzen. Auch die Windrichtung und die um das Hochhaus möglichen Turbulenzen wurden einkalkuliert. Daher trat zum geschwungenen „Winddach“ auf der Hochhausscheibe, das an die Flugdächer der 1950er Jahre erinnert, im dritten Obergeschoss noch ein „Wind-Spoiler“, der die Fußgänger:innen vor Luftverwirbelungen schützen soll.
Durch die zweischalige, gläserne, hinterlüftete Konvektionsfassade wollte man den Energieverbrauch zusätzlich reduzieren sowie über Klappen eine gute Belüftung und bei Bedarf auch eine Querlüftung sicherstellen. In solchen Details trafen sich die genaue Standortanalyse mit einem gerüttelten Maß an High-Tech-Architektur und einem hohen ökologischen wie ästhetischen Anspruch. Das subtile Farbspiel des GSW-Hochhauses entstand etwa zeitgleich und in unmittelbarer Nachbarschaft zur damaligen Großbaustelle Potsdamer Platz. Hier wählten verschiedene Projekte gelbe, blaue und rote Akzente, um ihren Rasterfassaden Leben einzuhauchen – dazu zählen etwa das Bürohaus in der Linkstraße 2-4 (Richard Rogers, 1998) und das DKV-Bürohaus in der Stresemannstraße 111 (Alsop/Störmer/Murphy, 1998).
Berlin, GSW-Hochhaus – für die rottonigen Fassadenelemente wurde ein eigenes Farbschema entwickelt (Bild: Jean-Pierre Dalbera, CC BY 2.0, 2013)
Die Zukunft
In Fachkreisen genoss die Erweiterung des GSW-Hochhauses schon um 2000 hohe Wertschätzung, nicht umsonst wurde die Anlage mit diversen Preisen ausgezeichnet. Doch im Jahr 2022 geriet der Bau in eine kontroverse Diskussion. Nach mehrfachem Besitzer:innenwechsel zog ein Internet-Unternehmen als Hauptmieter ein, woraufhin der Name des Hochhauses in Rocket Tower geändert wurde. Im Frühjahr 2022 wurde bekannt, dass für die Westfassade ein scheinbar kleiner, aber in seiner Wirkung weitreichender Eingriff geplant war. An die Stelle der Aluminiumbleche von 1999 sollten luftundurchlässige Sonnenschutz-Rollos nach einem standardisierten Farbcode treten. Bis auf drei Mockup-Fenster ist die Fassade bislang unangetastet – der weitere Umgang mit diesem hochkarätigen Zeugnis des farbigen Nachwende-Berlin bleibt abzuwarten.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald, Januar 2023
Berlin, GSW-Hochhaus (Bilder: links: Jean-Pierre Dalbera, CC BY 2.0, 2008; rechts: seier + seier, CC BY 2.0, 2006)
Berlin, GSW-Hochhaus (Bild: Gunnar Klack, CC BY SA 4.0, 2017)
Berlin, GSW-Hochhaus (Bild: Gunnar Klack, CC BY SA 4.0, 2020)
Schlusche, Günter u. a. (Hg.), Stadtentwicklung im doppelten Berlin. Zeitgenossenschaft und Erinnerungsorte, Berlin 2014, S. 18, 20, 33, 35.
gsw-hauptverwaltung berlin. sauerbruch hutton architekten. gsw headquarters berlin. sauerbruch hutton architects berlin, Baden in der Schweiz 2000 (hieraus auch die im Text zitierten Statements des Architekturbüros).
Käpplinger, Claus, Rettet die Farben!, in: marlowes, 31. Mai 2022.
Bauporträt auf der Online-Präsenz des Architekturbüros Sauerbruch Hutton.
Online-Petition zur Rettung der Fassade des GSW-Hochhauses auf change.org.
Titelmotiv: Berlin, GSW-Hochhaus (Bild: Tom Waterhouse, CC BY NC 2.0, via flickr, 2005) Jean-Pierre Dalbera, CC BY 2.0, 2013). Zu Bildrechten nach Creative Commons informieren Sie sich bitte online über die entsprechenden Bestimmungen.