BAU: Smart Tower und Center (Serie)
ADRESSEN: Mittelweg 160, 20148 Hamburg (Interimslösung); Centroallee 264, 46047 Oberhausen (erster Standardtyp); Neue Ramtelstraße 3, 71229 Leonberg; weitere Zentren (Deutschland, Frankreich, Niederlande usw.)
BAUZEIT: 1998–2006
MITWIRKENDE: Werksplanung (Center mit Tower): Andreas Kauffmann, Wolfgang Kergaßner, Rainer Lenz, Andreas Theilig (Kauffmann Theilig & Partner); Weiterentwicklung (Standardtypen): Ralph Küster, Micro Compact Car (MCC); Umsetzung (Tower): Hans Nußbaum (Otto Nußbaum GmbH & Co)
Autohäusern haftet von jeher etwas Sakrales an: Mit einer außergewöhnlichen Form, viel Glas und einer effektvollen Lichtführung soll maximale Aufmerksamkeit auf das Verkaufsobjekt gelenkt werden. Bei den Smart-Händler:innen der späten 1990er Jahre steigerte sich diese Wirkung, als man dem Vertriebscenter auf polygonalem Grundriss noch einen gläsernen ‚Campanile‘ zur Seite stellte – tagsüber ob seiner schieren Größe unübersehbar, nachts zusätzlich illuminiert. Diese markante Gestaltung trug dazu bei, dass der von Mercedes-Benz zusammen mit dem schweizerischen Uhrenhersteller Smart lancierte, knallfarbene Kleinwagen in aller Munde war. Dabei blieb die Architektur so nah am Automobil, dass sie sich mit jedem neuen Wagentyp verwandelte.
Eine von mehreren Entwurfsvarianten – Modell zum Smart Center, Kauffmann Theilig & Partner (Bild: Kauffmann Theilig & Partner)
Kleinwagenstapeln
Zu jedem Smart Tower gehörte ein Verkaufsgebäude, das sich auf einem zentralisierenden Grundriss erhob. An der Entstehungsgeschichte der beiden Module, die mehr als PR-Mittel denn als Baukunst inszeniert wurden, waren gleich mehrere Büros beteiligt. Für ein erstes Smart Center, gedacht als Pilotprojekt für ein Serienmodell, wurde 1995/96 ein Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem der spanische Architekt Alfredo Arribas den Sieg davontrug. Der Entwurf von Andreas Kauffmann, Wolfgang Kergaßner, Rainer Lenz und Andreas Theilig hingegen wurde mit dem zweiten Preis ausgezeichnet.
Nach einer zweiten Wettbewerbsrunde beauftragte man das Ostfilderner Büro Kauffmann Theilig & Partner (KTP) – 1988 von den Partnern Andreas Theilig (* 1951) und Dieter Ben Kauffmann (* 1954) gegründet, die 1995 Rainer Lenz (* 1960) hinzunahmen. Zu ihren Schwerpunkten zählt der Messe- und Ausstellungsbau für große Firmen. Für das Smart Vertriebscenter, als deren Bauherrin die Micro Compact Car (MCC) auftritt, werden von KTP (bezogen auf das Ensemble in Leonberg) als Projektarchitekt:innen genannt: Yingdi Wang (Wettbewerb), Ulrich Maier, Christian Rothenhöfer (Planung), Holger Müller und Julia Däfler.
Eine von mehreren Entwurfsvarianten – Modell zum Smart Center, Kauffmann Theilig & Partner (Bild: Kauffmann Theilig & Partner)
Anders als gedacht
Das Büro Kauffmann Theilig & Partner wollte das Smart Vertriebscenter auf einem kreisrunden Grundriss entwickeln. Damit sollte das großflächig verglaste Erdgeschoss zum Herzstück und Schauraum werden, um den sich auch die beiden Obergeschosse mit Büro- und Cafeteria-Räumen als Galerie gruppieren. Nachdem in den frühen Entwürfen alle Funktionen in einem Baukörper zusammengefasst waren, wollte KTP die Werkstattflächen zuletzt seitlich auslagern, während der gläserne Turm nun die lagernden Automodelle aufnehmen und zugleich werbewirksam den Standort markieren sollte. Da das Ensemble für eine 100-fache, europaweite Umsetzung gedacht war, wählte man ein Baukastensystem aus Stahlelementen mit Betonwänden und -decken.
Nach diesem ambitionierten, vor Ort individuell anpassbaren Entwurf, den KTP bis zur Werksplanung begleitete, realisierte Smart (MCC) eine in Form und Material reduzierte Ausführung: Auf Grundlage der KTP-Planung entwickelte der Erlanger Architekt und Projektentwickler Ralph Küster (* 1965) für MCC Entwürfe für ein multiples Baumodell, das vom Unternehmen Goldbeck in eine Systembau-Planung übersetzt wurde. Die Innenausstattung der modularen Lösung übernahm das Mailänder Studio Citterio (Glen Oliver Löw, Laurence Quinn). In Hamburg entstand im Mittelweg zunächst eine Interimslösung (2002 geschlossen), für die das Büro Schild Architekten Ingenieure ‚Automobil-Regale‘ vor einen schwarz verkleideten Kubus stellte.
Darmstadt, Smart Center (Bild: Christos Vittoratos, CC BY SA 3.0, 2011)
Rund 70 Stück europaweit
Von der ersten Wettbewerbsrunde bis zur Praxislösung wandelte sich das ‚gläserne Schaufenster‘ zum separaten Turm. Auf der Basis der KTP-Planung entfaltet die Bauabteilung von MCC vier ‚Standardtypen‘, von denen drei mit dem Smart Tower auftraten. 1998 eröffnete man das erste Smart Ensemble nach diesem neuen modularen Prinzip in Oberhausen (geschlossen 2021), schon 2003 wurde das Center-Modell vom Berliner Büro Rüdiger Schulze nochmals weiterentwickelt. Für die serielle Ausführung des Towers fiel die Wahl des Smart-Herstellers MCC nach einer Ausschreibung zunächst auf das Unternehmen Mannesmann. Als es dort zu Lieferschwierigkeiten kam, sprang die Nussbaum GmbH ein und begleitete über die Jahre hinweg die Weiterentwicklung des weitgehend vollautomatischen, hydraulisch-mechanischen Hubsystems in gläserner Hülle.
Der ursprüngliche Smart Tower wurde zunächst in 65 Exemplaren ausgeliefert, was einem Wert von insgesamt 24 Millionen Euro entsprach – europaweit sollten es rund 70 Stück werden. Bei der Nussbaum GmbH konnte man über die Entfernung Kontakt zu jedem der Türme halten, wodurch sich technische Probleme bei Bedarf rasch beheben ließen. Um 2000 plante der Betrieb optimistisch, das System auch im Bereich des Parkens zu nutzen. Schon sechs Jahre später begann für den Smart Tower jedoch der Rückzug aus der Fläche.
Jedes Auto sollte in drei Minuten eingelagert oder zum Verkauf bereitgestellt werden können – der Smart Tower in den unterschiedlichen Größen (von links nach rechts) Classic, L, XL und XXL (Bild: Nussbaum Technologies)
Eine Generationsfrage
Das Smart Verkaufsgebäude entwickelte sich stetig weiter, doch wesentlich rascher veränderte sich der gebaute Markenbotschafter, der Turm – spätestens mit jedem neuen Smart-Modell. Die Serie wurde von der Nußbaum GmbH, je nach Geschosszahl, als Kubus (Cube) und als Turm (Tower) montiert. Letzterer erschien schrittweise in vier Größen: Classic, L, XL und XXL. Am häufigsten kam der Ursprungstyp Classic zum Einsatz, der für den Smart Fortwo taugte und europaweit in 65 Exemplaren aufgestellt wurde.
Die zweite Turm-Generation – das Format L bewährte sich vor allem in Deutschland und in den Niederlanden – passte für den Smart Roadster und den Smart Crossblade. Mit einer Höhe von 24 Metern sprengte der Typ XXL in Hamburg die bisherigen Dimensionen: Er konnte 86 Smart Fortwo aufnehmen. Für deutsche und französische Standorte stand nicht zuletzt das Modell XL zur Auswahl, das auf einer Grundfläche von 10 x 10 Metern z. B. für den Smart Fourfour gedacht war. Alle Typen variierten letztlich die Grundgestalt von 1998.
Smart Tower und Smart Garage (Modell: Busch, Bild: catawiki.com)
Auf dem Weg zum Oldtimer
Parallel zu den realen Smart-Niederlassungen nahm die Modellbaufirma Busch das Verkaufsgebäude und den Turm ins Programm auf. Das Center wurde als besonders wandlungsfähig beworben: Man könne es auch als „neutrales“ Autohaus oder Shoppingcenter verwenden. Demgegenüber war der Tower durch seine ikonische Form und den Schriftzug eindeutig an die Marke gebunden, im Kleinen wie im Großen. Schon wenige Jahre nach ihrer Errichtung wurden viele der realen Smart-Türme still und leise abgeräumt. Im Frühjahr 2022 schließlich wurde bekannt gegeben, dass die sich die Smart-Zentrale von Böblingen nach Leinfelden-Echterdingen verlagern wird, während weite Teile der Fertigung nach China gehen. Und obwohl die verbliebenen gläsernen Türme – Lager und Werbeträger zugleich – sich gerade mehr zum Young- und bald Oldtimer-Schaufenster entwickeln, haben sie doch in den 1990er Jahren nachhaltig zur Bekanntheit der Marke beigetragen.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt/Greifswald, Juli 2022
Dalan, Marco, Der Herr der Smart-Türme. Mit badischer Qualität wurde Nußbaum Marktführer bei Hebebühnen, in: Die Welt, 7. März 2000.
Krause, Jan R., Smart-story. Vertriebscenter für den Smart. Vom Architekturwettbewerb zum realisierten Projekt, in: ait, 1/2, 1999, S. 56–59.
Padberg, Andreas, Strategische Unternehmensnetzwerke versus Cross-border-Unternehmensakquisitionen. Analyse alternativer Markteintrittsformen (ebs-Forschung 26), Wiesbaden 2000 (zugl. Diss., Oestrich-Winkel, 1999), S. 331.
Marquart, Christian (Hg.), Kauffmann Theilig & Partner, 3 Bd.e, Ludwigsburg 2005.
Onlinepräsenz von Nussbaum Automotives Lifts GmbH.
Parksystem mit Plattform. Smart Tower, auf: archiexpo.de.
Onlinepräsenz des Architekturbüros Kauffmann Theilig & Partner.
Onlinepräsenz des Architekturbüros Rüdiger Schulze.
Titelmotiv: Leonberg, Smart Center (Bild: qwesy qwesy, CC BY SA 3.0. 2014). Für den Bildnachweis in der Galerie klicken Sie bitte auf das jeweilige Bild. Sie enthält u. a. Fotografien von Kauffmann Theilig & Partner, Nussbaum Automotives Lifts GmbH und harry_nl (CC BY NC SA 2.0, via flickr, Köln und Leverkusen). Zu Bildrechten nach Creative Commons informieren Sie sich bitte online über die entsprechenden Bestimmungen.