BAU: Englandterminal, auch Fährterminal
ADRESSEN: Van-der-Smissen-Straße 1–3, 22767 Hamburg-Altona
BAUZEIT: 1991–1993
ARCHITEKTEN: me di um Architekten (Thies Jentz, Heiko Popp, Jan Störmer, Peter Wiesner), Hamburg, und William Alsop & John Lyall Architects, London
Was macht man mit einem Fährterminal, an dem schon nach neun Jahren keine Fähren mehr verkehren? Büros und Events natürlich, und baut dann direkt daneben ein neues Cruise Control Center für Kreuzfahrtschiffe. Was funktional so recht keinen Sinn machen will, lohnt sich doch für Architekturfreund:innen. Denn das sogenannte Englandterminal in Hamburg-Altona schlägt eine äußerst elegante Brücke zwischen der nostalgischen Seefahrt und einem futuristischen Bürokomplex. Mit diesen beiden starken Argumenten – gute Baukunst und spektakuläre Aussicht – behauptet sich das ehemalige Fährterminal bis heute quer durch die unterschiedlichsten Nutzungen.
Die „Kösterberg“ am Englandterminal (Bild: Niels Johannes, CC BY SA 4.0, 2007)
Einmal Hamburg-Harwich und zurück
Eigentlich sollte der 1993 fertiggestellte Neubau vor allem zwei Funktionen verbinden: ein Bürohaus und ein Terminal für die Strecke Hamburg-Harwich. Bis in die 1980er Jahre hatte man die beliebte Englandfähre an den St.-Pauli-Landungsbrücken abgefertigt – und der Platz für größere Kreuzfahrtschiffe war besonders rar. Da schien der neue Standort am Fischereihafen Altona besser geeignet, um den Passagier:innen auf dem Wasser- und auf dem Landweg eine optimale Anbindung anbieten zu können.
Die Nähe zum Öffentlichen Nahverkehr und zum tourismustauglichen Fischmarkt versprach eine sehr viel engere Vernetzung von Hafen und Stadt. Um den Neubau des Fährterminals möglich zu machen, investierte man allein 23,5 Millionen Deutsche Mark in die Infrastruktur. Zwei Auktionshallen mussten weichen, der östliche Fischereihafen wurde zugeschüttet und eine landseitige Zufahrt geschaffen. Ab den frühen 1990er Jahren wurde die Anlage von DFDS Scandinavian Seaways bewirtschaftet.
Das ‚alte‘ Fährterminal mit den daneben entstandenen Neubauten (Bild: Peter Biewald, via mapio.net)
Maritimes auf Stelzen
Im Hamburg der frühen 1990er Jahre löste man sich langsam von der backsteinsichtigen Postmoderne und wagte stattdessen futuristische, technoid glänzende Oberflächen. Dennoch gehörte das Spiel mit maritimen Versatzstücken weiterhin zum Pflichtprogramm – vom Verlagshaus Gruner + Jahr bis zum Lofthaus am Elbberg. Beim Fährterminal machten diese gebauten Bilder in besonderer Weise Sinn, da hier tatsächlich Schiffe anlanden sollten. Dabei bot das Ensemble von Anfang an Raum für das Terminal, ein Restaurant und Büros. Großzügig verglast und nach außen mit Aluminium verkleidet, präsentiert sich das Bauwerk als langgsteckter viergeschossiger Riegel, über dem zwei weitere Geschosse aufgeständert und zum Wasser hin vorgezogen wurden.
Den beschränkten Wettbewerb hatten 1987/88 „William Alsop & John Lyall Architects“ für sich entscheiden können. Für die weitere architektonische Gestaltung zeichnete dann das Büro „me di um Architekten“ (Thies Jentz, Heiko Popp, Jan Störmer, Peter Wiesner) verantwortlich. Hier wirkte das Fährterminal stilbildend – um nur zwei der Beteiligten herauszugreifen: Ab 1990 sollten Jan Störmer (* 1942) und sein englischer Berufskollege William Alsop (* 1947) ein eigenes Büro betreiben. Gemeinsam verwirklichten sie Bauten wie das Hamburger Staatsarchiv (1998) oder das Hôtel du Département des Bouches du Rhône (1994) in Marseille. Sie blieben der futuristischen Note des Fährterminals treu, erweiterten diesen Typus jedoch durch Blob-Elemente und farbstarke Oberflächen.
Die Schauseiten des Englandterminals zu Land und zu Wasser (Bild: links: a.n.other, via mapio.net; rechts: Jan HH, via mapio.net)
Arie mit Aussicht
2002 wurde die seit 1969 verkehrende Englandlinie eingestellt, die Billigflieger waren als Konkurrenz nicht mehr zu schlagen. Nun musste sich das Fahrterminal neu erfinden. Neben der Vermietung von Büros und dem Ausrichten von Events hat seit 2018 auch die Kultur Einzug gehalten: Das Musiktheater „Opernloft“ inszeniert in den großflächig verglasten, eigens dafür umgebauten Räumen klassische Stoffe mit jungen Sänger:innen. Damit können die Besucher:innen schon während der Aufführungen immer ein Auge auf den Hafen werfen, um in den Pausen auch die architektonischen Werte des Bauwerks für sich zu entdecken. Immerhin wurde das Englandterminal bereits 2019 in die Denkmalliste aufgenommen.
Das „Opernloft“ nutzt Teile des alten Fährterminals heute für Aufführungen (Bild: Silke Heyer)
Text: Karin Berkemann, Frankfurt/Greifswald, August 2022
Lange, Ralf, Architekturführer Hamburg, Stuttgart 1995, S. 103–104.
Kraft-Wiese, Brigitte u. a. (Bearb.), Perlenkette Hafenrand. Die Revitalisierung des nördlichen Elbufers, hg. von der Freien und Hansestadt Hamburg, Behörde für Bau und Verkehr – Landesplanungsamt, Hamburg 2000, S. 34, 36, 56–58, 104.
Dahm, Georg, Abschied von der Englandfähre, in: Die Welt, 28. Februar 2002.
Störmer, Jan/Bacht, Kristina (Hg.), Jan Störmer – Architekt, Leinfelden-Echterdingen 2017, S. 53.
Herzlichen Dank an das Denkmalschutzamt Hamburg für hilfreiche Hinweise.
Onlinepräsenz des Fährterminals.
Virtueller Rundgang.
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