
Bremen, Fallturm im Technologiepark (Bild: ZARM Universität Bremen)
BAU: Fallturm des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM)
ADRESSE: Am Fallturm 2, 28359 Bremen
BAUZEIT: 1988–1990
MITWIRKENDE: Horst Rosengart (Architektur); A. R. Penck und Felim Egan (Wandmalerei)
Seit seiner Fertigstellung im Jahr 1990 auf dem Gelände des Technologieparks gilt der Fallturm bei vielen Bremer:innen als städtisches Wahrzeichen, als architektonische Extravaganz oder (besonders bei denen, die über ihn schreiben) als ständige Einladung zum Wortspiel. Dass es sich darüber hinaus um ein irdisches Weltraumlabor handelt, das von Forschungsteams aus der ganzen Welt genutzt wird, wissen hingegen nur wenige. Vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) wurde der Fallturm speziell für Kurzzeitexperimente in der Schwerelosigkeit entwickelt. Das Labor besteht aus einer 120 Meter hohen, freistehenden Stahlröhre, in der eine bis zu 2,50 Meter hohe, zylindrische Versuchskapsel hinaufgezogen und dann wieder fallengelassen wird. In dieser Kapsel befindet sich das jeweilige Experiment, das aus den verschiedensten Fachrichtungen kommen kann. In den 4,74 Sekunden, in denen es mit bis zu 160 Stundenkilometern durch ein künstlich hergestelltes Vakuum fällt, bevor es in einem Abbremsbehälter aufgefangen wird, lassen sich Versuche in Mikrogravitation durchführen.
Im Dezember 2004 installierte man ein (bereits bei der Erbauung des Turms mitgedachtes, aber damals nicht ausgeführtes) Katapult in einem unterirdischen Abschussraum unterhalb der Fallröhre. Damit lässt sich die Versuchsdauer durch einen senkrechten Parabelflug auf 9,3 Sekunden erhöhen. Was man von außen sieht, ist allerdings nicht die Fallröhre selbst, sondern eine Hülle aus Beton. Sie schützt die innenliegende Röhre vor der norddeutschen Witterung. Dieser Mantel, der bei starkem Wind um die Stahlröhre herum schwankt, misst 8 Meter im Durchmesser und erreicht inklusive seiner gläsernen Spitze eine Höhe von 146 Metern. Neben der Fallröhre finden sich darin auch eine Treppenanlage und ein Aufzug. Die Gründung des Turms reicht nochmals 16 Meter in die Tiefe.

Bremen, Fallturm, links: Basisgebäude, Haupteingang; rechts: Schemazeichnung mit (von oben nach unten) Fallturmspitze, Fallkapsel, Fallröhre, Integrationshalle, Abbremseinheit und Katapultsystem (Bilder: links: Lorena Pethig, 2023; rechts: ZARM Universität Bremen)
Ein Turm, zwei Väter
Geistiger Vater des Fallturms war Hans J. Rath (1947–2012), der erste Generaldirektor des ZARM-Instituts. Seit dessen Gründung im Jahr 1985 suchte er eine nachhaltigere und kostengünstigere Möglichkeit, Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen. Denn das ließ sich bis dahin nur mit aufwändigen Shuttle- oder Parabelflügen bzw. auf Raumstationen realisieren. Fallschächte existierten bereits in NASA-Forschungszentren in den USA, einen Fallturm aber hatte noch niemand errichtet. Nach eigener Schilderung ließ Rath den Kollegen vom Universitätsbaudezernat von dessen Schreibtisch springen, um ihm die Funktionsweise des Turms zu erklären. Am Ende konnte er den Bremer Architekten Horst Rosengart (1936–2021) für das ehrgeizige Projekt gewinnen.
Rosengart begann seine Karriere in einer Partnerschaft mit Carsten Schröck (1923–1973), dem (dem!) Virtuosen der Bremer Nachkriegsmoderne. Nach dessen frühem Tod führte er das Büro als Architektengruppe Rosengart, Busse und Partner (später: Rosengart und Partner) fort. Sein Können stellte er in zahlreichen Projekten in Bremen und im Umland unter Beweis – für Schröck war er darüber hinaus in Westafrika tätig gewesen. Da er 1982 auch den Fernmeldeturm in Bremen-Walle errichtet hatte, war er für Rath der ideale Kandidat.

Bremen, Fallturm, Blick in die Fallröhre (Bild: ZARM Universität Bremen)
Ohne Vorbild
Nun sollte Rosengart ein Bauwerk planen, für das es keine Vorbilder gab, das komplexen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen musste und keinesfalls wie ein Kirchturm, Industrieschornstein oder Minarett aussehen durfte. Frühe Entwürfe zeigen, wie sich der Architekt seiner Aufgabe annäherte. Zunächst finden sich sehr dynamische, raketenförmige und von Science-Fiction-Illustrationen inspirierte Skizzen. Dann hatte Rosengart die Idee eines Turmkorbs, der an Seattles Space Needle erinnert. Schließlich entstand ein Entwurf, der sich aus klaren geometrischen Formen zusammensetzte.
Als Inspiration diente letztendlich keine schillernde Zukunftsvision, sondern ein Blick in die Vergangenheit: Für das Hightech-Bauwerk stand der antike Leuchtturm von Alexandria Pate. So ruht das Institut heute auf einem quadratischen Grundriss. Über der innenliegenden Werkhalle erhebt sich ein gläserner Pyramidenstumpf, aus dem wiederum der zylindrische Schaft des Fallturms erwächst. Der Turmabschluss ist ein 16 Meter hoher Glaskegel. Eine darauf aufsitzende, 30 Meter hohe „Space-Needle“-Antenne, die sich Rath gewünscht hatte, wurde aus Kostengründen nicht realisiert. Dennoch verleihen die – nach den Sicherheitsvorgaben des Luftverkehrs erforderlichen – roten Leuchten der Turmspitze nachts ein futuristisches Aussehen.
Für das Basisgebäude wählte Rosengart als Fassadenmaterial ein großformatiges, rot-graues Sichtmauerwerk, das den Gestaltungsrichtlinien für den Technologiepark entsprach. Die Eingänge sind durch Streifen aus orangefarbenen Backsteinen hervorgehoben, die sich im Sichtmauerwerk der inneren Eingangsbereiche fortsetzen. Auch die Ummauerung des Lastenaufzugschachts, der sich oberhalb des Haupteingangs erhebt, ist rot-orange gestreift. Die türkis gefassten Eingangstüren stimmen auf das Farbkonzept ein, das im Geschmack der frühen 1990er Jahre angelegt wurde: Hier finden sich an Metalltreppen, Geländern, Stahlträgern sowie Bodenbelägen Hellblau- und Türkistöne in vier Schattierungen. Schalungsrau belassene Betonflächen etwa in den Treppenhäusern und an den Bürodecken wurden mit türkisfarbenen, blauen oder grünen Lasuren behandelt. Die Herzstücke des Labors – die Stahlröhre, die Abbremskammer mit dem über 8 Meter hohen Abbremsbehälter und die Katapultanlage – sind hingegen in Eidottergelb gehalten.

Bremen, Fallturm, Treppendetails in der typischen Farbigkeit der 1990er Jahre (Bilder: Lorena Pethig, 2023)
Kunst im Untergrund
Der Grundstein des Turms wurde im Oktober 1988 gelegt. Nach einem ersten erfolgreichen Testflug fand am 28. September 1990 die feierliche Einweihung des Schwerelosigkeitslabors durch den Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber statt. Schon lange hatte Rath die Idee gehegt, seinen Hightech-Bau auch mit der Welt der bildenden Kunst zu verbinden. Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des ZARM wurde ein Galerieraum im äußeren Mantel des Turms eröffnet, in dem bis 1997 Ausstellungen stattfanden.
Darüber hinaus lud man den renommierten Künstler A. R. Penck (1939–2017) und seinen irischen Kollegen Felim Egan (1952–2020) in den Technologiepark ein. Beide sollten in 12 Metern Tiefe im kreisrunden Abschussraum, der noch auf den Einbau des Katapults wartete, ein gemeinsames Kunstwerk schaffen. Penck und Egan versahen die rund 200 Quadratmeter große Wandfläche bis 1995 mit abstrakten archaischen Wandbildern und Plastiken mit dem klingenden Titel „Zentralalarmruhemasse“. Ein Nebeneingang des Institutsgebäudes wurde vom Büro Rosengart und Partner für den Empfang des kunstinteressierten Publikums umgestaltet: mit einem von einer Rundstütze abgespannten Vordach aus transluzentem weißem Polystyrolgewebe.

Bremen, Fallturm, Vordach am Nebeneingang (Bild: Lorena Pethig, 2023)
Im Technologiepark
Das ZARM-Institut inklusive Fallturm war eines der ersten Bauwerke des 1988 gegründeten Technologieparks Bremen. Horst Rosengart schenkte dem örtlichen und historischen Kontext, in dem seine Projekte entstanden, stets große Beachtung. Das harmonische Einfügen seiner Bauten in die Umgebung war ihm dabei immer wichtiger als die Schöpfung eines architektonischen Spektakels. So bleibt die hochspezialisierte Technik, die das Wesen und die Funktion des Fallturms ausmacht, im Inneren verborgen. Trotzdem wirkt der Bau, der bereits am 22. Oktober 1988 in der Tageszeitung Weser-Kurier als „eine Art Wahrzeichen“ gehandelt wurde, heute ein wenig sci-fi-mäßig und definitiv spektakulär. Und für den ganz besonderen Fall der Fälle: Heiraten kann man in der Turmspitze auch.
Text: Lorena Pethig, Landesamt für Denkmalpflege Bremen, September 2023

Bremen, Fallturm, Abschussraum, Wandbild der Künstler A. R. Penck und Felim Egan (Bild: Lorena Pethig, 2023)

Bremen, Fallturm, Details (Bilder: Lorena Pethig, 2023)

Bremen, Fallturm, Details (Bilder: Lorena Pethig, 2023)
25 Jahre Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation, 20 Jahre Fallturm Bremen, hg. vom ZARM Universität Bremen, Bremen 2010.
ZARM Universität Bremen, Schwerelos im Fallturm Bremen, Brosch., o. J.
Bremer Zentrum für Baukultur, Horst Rosengart. Erlebte Architektur, Delmenhorst 2006.
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