Stuttgart-Weilimdorf, Haltestelle Rastatter Straße: Die verspielten Gestänge wurden vielleicht inspiriert von der barocken Dekorfreude der nahen Solitude (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Imre Boros, 2023)
HALTESTELLEN: 1) Pragsattel, 2) Rastatter Straße; 3) Waldau
LAGE: 1) 70191 Stuttgart-Nord; 2) 70499 Stuttgart-Weilimdorf; 3) 70597 Stuttgart-Waldau
BAUZEITEN: 1) 1990; 2) 1992; 3) 1998
MITWIRKENDE: 1) Siedler & Fränkel; Miller (Gartenarchitektur); 2) Jürgen Zeeb; 3) Roland Unold; Schlaich, Bergermann und Partner (Jörg Schlaich, Andreas Keil); Siegfried Groß (Sportmotive)
Mintgrüne Tragwerke, verspielte Rankhilfen und textile Segeldächer: Drei Stationen der Stuttgarter Stadtbahn lesen sich wie ein Schnellkurs in 1990er-Jahre-Architektur. In gekonntem Bogen (und ganz in der Ingenieurbautradition des Ländles) führen die Haltepunkte „Pragsattel“, „Rastatter Straße“ und „Waldau“ von den postmodernen Projekten der IGA 93 bis zur aufscheinenden Klarheit der Jahrtausendwende. Für die Denkmalpflege, die den Stationen 2023 den Schutzstatus zuerkannt hat, verkörpern sie auch die „Umstellung auf Normalspur, den Bau zahlreicher Tunnelstrecken und die Expansion ins Umland“ (Landeskonservator Martin Hahn).
Stuttgart, Haltestelle Pragsattel: Der Mittelbahnsteig ermöglicht das Betreten und Verlassen der Waggons zu beiden Seiten (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Imre Boros, 2023)
1990: Pragsattel
Die Neugestaltung der Haltestelle Pragsattel, die sich im Norden der Stadt ab 1909 zum wichtigen Umsteigebahnhof gemausert hatte, konnte 1990 vom Stuttgarter Architekturbüro Siedler & Fränkel fertiggestellt werden. Heute präsentiert sich die Anlage als nach oben offene Tiefhaltestelle zwischen zwei Tunnelstrecken. Dieser innovative Entwurf war Teil des gestalterischen Wettbewerbs zur IGA 93: Mit dem sog. Grünen U wurden die Parks von Killesberg, Wartberg, Leibfriedschem Garten u. a. zu einem durchgehenden Konzept verbunden.
In diesem Sinne spannte das Stuttgarter Büro Schlaich und Partner bis 1993 filigrane Fußgänger:innenbrücken zwischen den Hügeln auf, so auch in Richtung des Pragsattels. Und an der hier von Siedler & Fränkel 1990 tiefergelegten Haltestelle stärkte der Gartenarchitekt Miller die topogafische Einbettung: Natursteinmauern, Pflanzbeete, Rankhilfen, Gehölze und Grünflächen leiten in die umgebende Landschaft über. Das Mintgrün der Bahnsteigausstattung wird durch schmale eingelegte Metallstreifen an den Treppenaufgängen mit dem Straßenniveau verbunden. Ein dritter, zusätzlicher Bahnsteig in der Mitte der Anlage sollte für einen raschen Fahrgastwechsel sorgen – für dieses Extra wurden die Waggons seinerzeit eigens technisch umgerüstet.
Stuttgart-Weilimdorf, Haltestelle Rastatter Straße: Stationsschildträger, Rankhilfe oder einfach nur, weil es Spaß macht (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Imre Boros, 2023)
1992: Rastatter Straße
Am westlichen Rand des Stadtgebiets, in Weilimdorf, markieren turmartig aufragende Gestänge in Primärfarben den Punkt, an dem sich die Solitudestraße und die Rastatter Straße treffen. Die tiefergelegte Haltestelle wurde 1992 vom Architekten Jürgen Zeeb (1950–2020) gestaltet. Nach seinem Studium in Stuttgart, nach der Tätigkeit in verschiedenen Büros, machte er sich 1984 in Weilimdorf selbständig. Ab Ende der 1990er Jahre war er verstärkt in der Kommunalpolitik aktiv und bildete ab 2013 Teil des Architektenhauses Zeeb Schäffer Lang.
Die stählernen Gestänge, die sich in roter, blauer und gelber Fassung zu fantasievollen Gerüsten verbinden, zeichnen den Ort nicht nur in die Höhe besonders aus. Auf der Bahnsteigebene werden den Konstruktionen auch praktische Funktionen wie Rankhilfe, Laterne, Stationsschild oder Überdachung zugeordnet. Selbst die rahmenden Betonmauern werden durch eingelegte farbige Strukturen und Rundöffnungen im Geist der Postmoderne bespielt.
Stuttgart, Haltestelle Waldau: 14 Meter werden ohne zusätzliche Stützen überspannt (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Imre Boros, 2023)
1998: Waldau
Eine Stufe unterhalb der Straßenebene, eingespannt zwischen zwei Tunnelabschnitten, liegt im Stuttgarter Süden die Haltestelle Waldau. (Sie ‚erbte‘ den Stationsnamen von der heute „Weinsteige“ genannten Haltestelle.) Seit 1998 erschließt sie den gleichnamigen Sportpark mit seinen unterschiedlichen Spielflächen. Nach Nordwesten, zum Georgiiweg hin, wird der Hang durch eine Stahlbetonmauer abgestützt. Ein Teil des Wartebereichs wird von einem Membrandach geschützt, dessen Bogen organisch der Topografie der Umgebung folgt. Für die Statik sorgen Edelstahlseile und vier ebensolche Bögen, die 14 Meter ohne zusätzliche Stützen überspannen.
Für Waldau arbeiteten zwei Stuttgarter Büros zusammen: Roland Unold sowie Schlaich, Bergermann und Partner, für Letztere werden als Projektverantwortliche Jörg Schlaich und Andreas Keil genannt. An der Stahlbetonwand der Haltestelle setzte der Grafiker und Illustrator Siegfried Groß (* 1938), der etwa 1977 das Filmplakat für Star Wars 5 („Das Imperium schlägt zurück“) gestaltet hat, durch 16 großformatige Tafeln mit stilisierten Sportmotiven in Siebdruckästhetik gutgelaunte künstlerische Akzente.
Stuttgart, Haltestelle Waldau: Der Grafiker Siegfried Groß schuf 16 großformatige Tafeln mit Sportmotiven (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Imre Boros, 2023)
Mehr Grün
Alle drei Haltestellen mussten sich dem alten Stuttgarter Problem stellen, möglichst elegant Hügel zu über- und unterqueren. Dafür wurden zum einen Tunnelstrecken gebahnt, zum anderen Wartebereiche (so weit als möglich) zur Umgebung hin geöffnet. An manchen Stellen (wie in der Rastatter Straße) nutzten die Architekt:innen und Ingenieur:innen dafür Signalfarben, in wenigen Fällen (wie in Waldau) waren es Werke der bildenden Kunst, die den jeweiligen Standort aufwerten sollten. Wie ein roter Faden finden sich entlang der Stadtbahn immer wieder feinsinnige ingenieurbautechnische Details, welche die Stationen bis heute zu attraktiven Blickpunkten machen.
Text: Karin Berkemann, Dezember 2023
Stuttgart, Haltestelle Pragsattel: Die serielle Reihe der Trägerkonstruktionen setzt sich spielerisch auch dort fort, wo keine gläsernen Dachflächen zum Wetterschutz aufgebracht wurden (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Imre Boros, 2023)
Stuttgart, Haltestelle Waldau: Das gewölbte Membrandach soll der Form des Daimlerstadions entlehnt sein (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Imre Boros, 2023)
Stuttgart, Haltestelle Pragsattel: Mehr Park als Bahnstation – mit wertigen Natursteinarbeiten wurde die Einbindung in die durchgrünte Umgebung betont (Bild: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Imre Boros, 2023)
Müller, Manfred, Zwischen St. Barbara und „Barbar“. 50 Jahre Stadtbahnbau in Stuttgart. „Tiefgründige“ Erinnerungen eines Tiefbauingenieurs, Stuttgart 2010.
Weilimdorf. Stadtrat Jürgen Zeeb plötzlich und unerwartet gestorben, in: WeilAktiv, 6. Dezember 2020.
Porträt der Haltestelle Waldau auf: Schlaich und Partner.
Online-Auftritt des Grafikers Siegfried Groß.
Bauinformationen des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart.
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