Rottenburg am Neckar, Haus Kucher, Ansicht zur Paradeisstraße, die Holzoberflächen der Fassade stilvoll gealtert im Jahr 2020 (Bild: Brutarchitekt, CC BY SA 4.0)
BAU: Haus Kucher
ADRESSE: Paradeisstraße 19/1, 72108 Rottenburg am Neckar
BAUZEIT: 1990–1991
ARCHITEKT: Valerio Olgiati (mit Markus Graf)
Bei Haus Kucher gab es 1990/91 eine Fehlertoleranz von gerade einmal drei Millimetern. Um den Bau in Rottenburg am Neckar passgenau in die schwierige Hanglage einfügen zu können, hatte sich der Schweizer Architekt Valerio Olgiati für vorfabrizierte Holzelemente auf einem vor Ort betonierten Fundament entschieden. Damit entsprach er, wie er rückblickend berichtet, zugleich dem Wunsch der jungen Familie Kucher nach einem kleinen, im besten Wortsinn einfachen Haus. Der über drei Jahrzehnte hinweg malerisch eingewachsene Bau mit seinen stilvoll patinierten Holzoberflächen wurde jüngst saniert – jetzt zeigt er wieder das ursprüngliche dunkle Flaschengrün.
Rottenburg am Neckar, Haus Kucher, Seitenwand mit Außentreppe ins erste Obergeschoss (links) und Hof zur Hangseite mit schalungsrauen Betonmauern, um 1991 (Bilder: Archiv Olgiati, um 1991)
Am Hang
Die Planungen für Haus Kucher startete Olgiati 1989 unter Mitarbeit von Markus Graf, die Bauarbeiten konnten – auch dank der Montage der vorfabrizierten Holzmodule – von 1990 bis 1991 zügig durchgeführt und abgeschlossen werden. Damit zählt der Bau zum Frühwerk des 1958 in Chur geborenen Architekten. Nach seinem Studium an der ETH Zürich war er einige Jahre nach Los Angeles gegangen, um 1996 ein eigenes Büro in der Schweiz, wieder in Zürich, zu gründen. Ab 2008 arbeitete er dann gemeinsam mit seiner Frau Tamara in Flims in Graubünden.
Ende der 1990er Jahre machte Olgiati überregional auf sich aufmerksam: mit Entwürfen wie dem betonsichtigen Neubau des Oberstufenhauses in Paspels (1998) oder mit der Umgestaltung des historischen Gelben Hauses zum Museum (1998) in Flims. Auch in der Folge blieb er seinem Ansatz treu, zeitgenössische Materialien in klaren Formen in eine gewachsene Umgebung einzubetten. Hierfür lässt sich beispielhaft der hausförmige rotgetönte Betonkörper, das Atelier des Musikers Bardill, nennen, das Olgiati 2007 in Scharans fertigstellte. Parallel nahm er Lehraufträge in der Schweiz und in den USA an und äußerte sich vermehrt auch als Architekturtheoretiker.
Rottenburg am Neckar, Haus Kucher, Schnitt durch das Wohnhaus am Hang (Bild: Schnitt)
Am Hang
In Rottenburg ist das dunkelgrün gefasste Haus gekonnt eingeschrieben in die Hanglage, noch dazu an einer steil ansteigenden Straßenkehre. Ebenerdig erreicht man das Erdgeschoss, das nach Südwesten zur Paradeisstraße hin nur kleinteilige hochliegende Fensteröffnungen zeigt. Entsprechend sind hier Nebenräume und Gästezimmer untergebracht.
Das Obergeschoss mit den Wohnräumen, von der Straßenseite belichtet über bodentiefe Sprossenfenster, wird seitlich je über eine Außentreppe erschlossen. Zur Hangseite hin öffnet sich diese Ebene zu einem – von schalungsrauen Betonmauern eingefassten – Hof. Darüber erhalten die an einem Flur aufgereihten Schlafzimmer zur Straßenseite hin reichlich Tageslicht durch die überhohen Gauben im ziegelgedeckten Satteldach.
Rottenburg am Neckar, Haus Kucher, links: Ansicht zur Paradeisstraße, die Fassade zeigt sich im Jahr 2023 frisch saniert (links), und Grundriss des ersten Obergeschosses mit den leicht nach außen gekrümmten Außenwänden (Bilder: links: google-Streetview; rechts: Grundriss)
Kunstvoll gekrümmt
Olgiati begründet seinen Entwurf vor allem über die Lage des Grundstücks: am Rand einer süddeutschen Kleinstadt, in der ruhigen Stichstraße eines Wohnviertels, das im Stil der 1920er Jahre zwischen Tradition und Moderne schwankt. In dieses Umfeld fügt er sich mit einer zurückhaltenden Formensprache ein, um dann doch mit verspielten Details eine Marke zu setzen. Das Badezimmer, das im Dachgeschoss zur Hangseite leicht vorkragt, ruht auf schlanken gebauchten Rundstützen. Im Grundriss stechen die leicht nach außen gekrümmten Formen der Wände ins Auge. Zur Straße hin wird die vertikale Fassadengliederung durch überhohe Gauben betont. Darin (und darunter) gab Olgiati den Fenstern nur je zwei Sprossen, mehr Zitat als Bauteil, im oberen rechten Flügel. Ein wenig Postmoderne schimmert somit immer wieder wohltuend durch den klaren Rationalismus von Haus Kucher hindurch.
Text: Karin Berkemann, Mai 2024
Rottenburg am Neckar, Haus Kucher, Haus zum Hang (links) und Eingang im ersten Obergeschoss (Bilder: Archiv Olgiati, um 1991)
Rottenburg am Neckar, Haus Kucher, Grundriss des zweiten Obergeschosses (links) und Lage im Straßenzug (Bilder: links: Grundriss; rechts: google-Streetview, 2023)
Olgiati, Valerio, Built, Zürich 2023.
Olgiati, Valerio, Casa Kucher. Kucher House, Rottenburg am Neckar, in: 2G. Revista internacional de arquitectura 37, 2006, S. 26–31.
Online-Auftritt des Büros Valerio Olgiati.
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