Saarbrücken, Historisches Museum, Ausstellungshalle, zum barocken Schloss-Südflügel (links) hin sind der Seitenwand nach vorne ein spiralig aufgerollter Treppenturm und rückwärtig vier zylindrische Lüftungstürme hinzugefügt (Bild: Marco Kany)
BAU: Historisches Museum Saar
ADRESSE: Schloßplatz 15, 66119 Saarbrücken
BAUZEIT: 1981–1993
ARCHITEKT: Gottfried Böhm (mit Nikolaus Rosiny, Klaus Krüger und Lutz Rieger)
Viele Spitznamen für moderne Bauten sind mondän („Lippenstift und Puderdose“ für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin), andere skurril („Elefantenklo“ für eine Fußgänger:innenüberführung in Gießen). In Saarbrücken fand man stattdessen eine sehr bodenständige Bezeichnung für ein Werk des Architekten Gottfried Böhm: Das Historische Museum Saar heißt hier schlicht „die Tonne“, passend zur langgestreckten, gewölbten Form der Ausstellungshalle am Schloßplatz. Entsprechend titelt das Baunetz in diesem Frühjahr „Weg mit der Tonne“ – und meint damit das Vorhaben, den Böhm-Bau durch etwas Neues zu ersetzen. Doch noch ist es nicht so weit, noch ist der Erhalt eine diskutierte Option. Umso mehr lohnt ein genauerer Blick auf das Museum, das lange zu Unrecht im Schatten des (ebenfalls von Böhm wiederaufgebauten) Barockschlosses stand.
Saarbrücken, Historisches Museum Saar, Halle während der Sonderausstellung „Prominente Menschen aus dem Saarland“, mittig führt eine Treppe zu den unterirdischen Ausstellungsflächen (Bild: Historisches Museum Saar, Thomas Roessler, CC BY SA 4.0, 2017)
Tiefgründig
1986 als Regionalgeschichtliches Museum gegründet, reichen die Wurzeln der Einrichtung weiter zurück. Bereits 1976 hatte man im Nordflügel des Saarbrücker Schlosses eine Gestapo-Arrestzelle entdeckt, um die herum sich in der Folge eine museale Gedenkarbeit entwickelte. In jenen Jahren wurde, zunehmend kontrovers, über die bauliche Zukunft der barocken Schlossanlage diskutiert, die mit einer wechselvollen Geschichte aufwarten kann: 1748 fertiggestellt, 1793 zerstört, im 19. Jahrhundert in Stufen wiederaufgebaut, im Zweiten Weltkrieg beschädigt, danach in Teilen renoviert und wiederaufgebaut. 1978 konnte sich der Vorschlag von Gottfried Böhm durchsetzen, den abschließenden Wiederaufbau zwar in den Materialien und Stilmitteln an den Bestand anzulehnen, aber vor allem den Mittelrisalit deutlich als zeitgenössische Schicht erkennbar zu machen. Für den historischen Gewölbekeller war entweder eine Restaurant- oder eine Museumsnutzung im Gespräch – die zweite Lösung sollte sich durchsetzen.
Von 1981 bis 1989 realisierte man die Böhm’schen Planungen für die Schlossanlage. Parallel wurden im historischen Kellergewölbe ab 1981 Museumsräume eingerichtet. Oberirdisch folgte zwischen dem Südflügel und der tieferliegenden Talstraße bis 1993 eine Halle. Dieser einzige Tageslichtbau des Museums ergänzt eine insgesamt 2.700 Quadratmeter große Ausstellungsfläche, die mehrheitlich unterirdisch liegt. Zentrales Thema der Einrichtung, die seit 1994 den Namen Historisches Museum Saar trägt, ist die Geschichte der Region seit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Erschlossen werden die Ausstellungsräume über die Böhm’sche Halle, die auf einem langgestreckten rechteckigen Grundriss von einem hohen Tonnengewölbe überfangen wird. Die – wie der gesamte Bau – nach außen mit Aluminium-Platten verkleidete Rundung ist lamellenartig getreppt.
Saarbrücken, Historisches Museum Saar, gezeichnete Ansicht zum Schloßplatz (links) und fotografierte Ansicht zur Talstraße, wo die Halle auf einem hohen, von Bullaugenfenstern durchbrochenen Sandsteinsockelgeschloss ruht (Bilder: links: Covermotiv der Einweihungsschrift; rechts: google-Streetview, 2022)
Dynastisch
Als erster (und bislang einziger) deutscher Pritzker-Preisträger bildete Gottfried Böhm (1920–2023) die zweite Generation der rheinischen Architekt:innendynastie – nach dem Kirchenbaumeister Dominikus (1880–1955), neben seiner Frau Elisabeth (1921–2012), vor seinen Söhnen Stephan (*1950), Markus (*1953), Peter (*1954) und Paul (*1959). Dabei waren in der Familie die Grenzen zwischen bildender und bauender Kunst oft fließend, so wie Gottfried Böhm beim Wiederaufbau des Saarbrücker Schlosses bis 1989 auch gleich noch das Brunnenhaus davor gestaltete. Das parallel von ihm entwickelte Historische Museum Saar fällt in das Spätwerk des Architekten, der ab 1992/93 verstärkt mit seinen Söhnen zusammenarbeitete und durch internationale Lehraufträge zwischen Washington und Sofia eine breite Wirkung entfaltete.
In Saarbrücken tat er sich für Schloss und Museum mit dem Kölner Berufskollegen Nikolaus Rosiny (1926–2011) sowie mit den Saarbrücker Architekten Klaus Krüger (1930–2021) und Lutz Rieger (1930–2011) zusammen. Schon zuvor hatte Gottfried Böhm in Saarbrücken vielbeachtete Werke hinterlassen, von der leichtfüßigen Betonkonstruktion für St. Albert (1954, mit Domenikus Böhm) bis zu den postmodernen Wohnhäusern in der Talstraße (1982). Vom Historischen Museum Saar verlaufen nicht allein geschichtliche und städtebauliche, sondern auch gestalterische Linien zum schöpferischen Wiederaufbau des Schlosses. Das Motiv der zentralen hohen Halle etwa, wie es das Museum ebenso wie den Schloss-Mittelrisalit auszeichnet, findet sich im Werk der Böhm-Familie in jenen Jahren mehrfach, vom Stuttgarter Züblin-Haus (1984) bis zur ehemaligen Bahn-Zentrale in Frankfurt (1993).
Saarbrücken, Dreiflügel-Anlage des Schlosses, (im Bild) rechts neben dem Südflügel liegt der langgestreckte Eingangsbau zum Historischen Museum Saar (Bild: Historisches Museum Saar, CC BY SA 4.0, 2017)
Angezählt
2007/08 erfuhr das Museum eine doppelte Erweiterung: Zum einen wurde die Dauerausstellung überarbeitet, zum anderen schlug man die zuvor ergrabene, sog. unterirdische Burg zur Ausstellungsfläche hinzu. Aktuell sucht man auch für die Böhm’sche Halle nach einer neuen Lösung – für mehr Fläche, mehr Orientierung und mehr Sichtbarkeit. Aus einem 2023 ausgelobten Architekturwettbewerb gingen im Januar 2024 vier prämierte Entwürfe hervor. Alle wollen den Anbau stärker hervorheben, einer von ihnen (ausgerechnet die mit dem ersten Platz ausgezeichnete Variante des Kölner Büros trint + kreuder) will dafür den Böhm-Bau vollständig abreißen lassen. Die zugehörige Begründung, dass Sanierung und Umgestaltung wirtschaftlich nicht tragbar seien, sollen bis Ende des Jahres noch einmal überprüft werden. Damit haben Architekturfreund:innen einen weiteren guten Grund, ihre Saarbrückenreise nicht mehr allzu lange aufzuschieben.
Text: Karin Berkemann, Mai 2024
Saarbrücken, Historisches Museum Saar, Illumination der Halle zum Thema Kandinsky (links) und Abgang ins Untergeschoss (Bilder: links: Sabine Krey; rechts: Daniel Seel; beide: via google-Maps, 2023)
Saarbrücken, Historisches Museum Saar, die durch schlanke stählerne Rundstützen gegliederte Seitenwand der Halle zum Schloss hin (links) und Ausstellungsfläche in der sog. unterirdischen Burg (Bilder: links: google-Streetview, 2022; rechts: Swamajit Chatterjee, via google-Maps, 2022)
Saarbrücken, Historisches Museum Saar, die aluminiumverkeidete Seitenwand mit Seiteneingang zum Schloss hin (links) und die verglaste, bei Nacht beleuchtete Fassade zum Schloßplatz hin (Bilder: links: google-Streetview, 2022; rechts: Anna16, CC BY SA 4.0, 2015)
Weg mit der Tonne. Wettbewerb für Museumserweiterung in Saarbrücken entschieden, auf: baunetz, 27. Februar 2024.
Dittmann, Marlen, Böhm, Gottfried, auf: Institut für aktuelle Kunst, 30. Mai 2023.
Voigt, Wolfgang (Hg.), Gottfried Böhm aus der Sammlung des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt am Main, Berlin 2006.
Kugler, Lieselotte, Das Regionalgeschichtliche Museum im Saarbrücker Schloßkeller, in: Auer, Hermann (Hg.), Museum und Denkmalpflege. Bericht über ein internationales Symposium, veranstaltet von den ICOM- und ICOMOS-Nationalkomitees der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz vom 30. Mai bis 1. Juni 1991 am Bodensee, München u. a. 1992, S. 108–115.
Online-Auftritt des Historischen Museums Saar.
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