BAU: Hotel Speicher
ADRESSE: Am Osthafen 2, 18356 Barth
BAUZEIT: 1995–1997
ARCHITEKT: Giencke & Company (Volker Giencke), Graz
PREIS: Landesbaupreis Mecklenburg-Vorpommern 1998 (Anerkennung)
In den 1990er Jahren kam Graz bis an die Ostsee, genauer gesagt an den Hafen von Barth. Der österreichische Architekt Volker Giencke sollte hier bis 1997 einen ehemaligen Getreidespeicher der Jahrhundertwende zum Hotel umgestalten. Giencke gilt als Vertreter der Grazer Schule, die das „andere“ Bauen suchte, einen Gegenentwurf zur gängigen Nachkriegsmoderne. Wohl nicht ohne Augenzwinkern kennzeichnete er selbst die TU bzw. TH in Graz als einen Ort, an dem „die Studenten besser waren als die Professoren“. Und auch bei seinem Projekt in Barth ist diese selbstbewusste Freiheit zu finden, wenn sich der behutsame Umgang mit dem Bestand, verspielte Zitate aus den 1950ern und zeittypische Materialien der 1990er Jahre zu einem stimmigen Ganzen verbinden.
Barth, Hotel Speicher (Bild: Franz Wegener, via flickr)
Dinieren unter der Schütte
Am Hafen von Barth nahm 1896 ein ganzes Ensemble aus Speichergebäuden seinen Anfang, um die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Umgebung verwahren und weiterverteilen zu können. Der heute zum Hotel umgebaute Getreidespeicher setzte sich aus zwei Teilen zusammen, einem Lager und einer Schütte. Dafür hatte man die Außenwände als selbsttragende Hülle ausgebildet, die sich nach oben stufenweise verjüngte, dazwischen eingehängt Holzbaken oder Eisenträger. Nach der Wende wandelte sich der einstige Wirtschaftsstandort nach und nach zum Naherholungsort und Ferienziel. Als die ursprüngliche Funktion des Speichers 1993 endgültig auslief, sollte die Anlage zunächst zu Luxusapartments umgestaltet werden. Doch mit der Bauaufnahme und den ersten Planungsansätzen kristallisierte sich ein neues Nutzungskonzept heraus: ein Hotel mit Restaurant, Weinkeller, Sauna, Seminarräumen, Ferien- und Maisonettewohnungen. So konnten die Außenwände und Teile des historischen Innenlebens erhalten werden.
Im Erdgeschoss wird die neue Restaurantnutzung nach Westen, zum Hafen hin, durch eine – auf V-förmigen Stützen überdachte – Terrasse bzw. Veranda greifbar, die an die Stelle der ehemaligen Rampe trat. Im Inneren platzierte man die Tische der Gäste direkt unter den 21 aus Beton gestalteten Schütten und inszenierte die Beleuchtung über eben jene Öffnungen. Die darüberliegenden Wände der Schütten, geschichtet aus einzelnen Brettern, wurden in die Hotelzimmer und Ferienapartments einbezogen und teils mit neuen Öffnungen versehen. Nach außen erhielt der backsteinsichtige Bestandsbau klar abgehobene Zusätze: ein parabelförmig vorgewölbter, mehrere Geschosse übergreifender Wintergarten an der Nordseite, nach Süden eine Wendeltreppe, im Westen und Osten verschiedene Balkone und Schiebeläden, auf dem Dach zwei neue Geschosse als verglaste Betonkonstruktion mit Flugdach. Alle Ergänzungen sind durch zeittypische Materialien (zumeist weiß lackierte Holz- und Metalloberflächen) von den historischen Baustoffen (gebürstete Bretter und roter Backstein) eindeutig zu unterscheiden.
Barth, Hotel Speicher (Bild: Modell)
Aus der Grazer Schule
Für das Projekt in Barth konnte der Architekt Volker Giencke gewonnen werden, der hier mit Wolfgang Feyferlik, Susi Fritzer und Claudius Pratsch sowie mit dem Tragwerksplaner Alois Winkler zusammenarbeitete. Der 1947 geborene Giencke wird zur Grazer Schule gezählt, immerhin war er Mitte der 1970er Jahre Mitarbeiter von Günther Domenig. Von der Architektin Merete Mattern, der Tochter des Gartenarchitekten Hermann Mattern, lernte er den Bezug zum Ort, zur umgebenden Natur ernst zu nehmen. Nach seinem Studium der Architektur und Philosophie gründete er das Büro Giencke & Company 1981 zunächst in Graz, später etablierte er Zweigestellen in Sevilla und Riga.
1992 übernahm er eine Professur an der Universität Innsbruck, weitere internationale Lehraufträge folgten, zuletzt gründete er 2000 ein Studio für Experimentelle Architektur. Aus der Zusammenarbeit mit Domenig ging 1975 in Graz u. a. ein Mehrzweckbau hervor. Zu Gienckes Spätwerk zählen prominente Projekte wie die Kirche in Aigen (1992), der Expo-Pavillon in Sevilla (1992) oder ein Konzerthaus im lettischen Piepaja (2015). In den 1990er Jahren setzte er sich wiederholt mit historischen Bauten auseinander, so etwa bei der Benediktinerabtei in Seckau (1997). Doch vor allem bei den gestalterischen Zusätzen zeigen sich in Barth deutliche Parallelen zu seinen anderen Bauten der 1990er Jahre, so erinnern etwa die parabelförmigen die Glashäuser im Botanischen Garten der Universität Graz (1995) an die Nordseite des Hotels Speicher.
Barth, Hotel Speicher (Bild: Marius Bulla, via flickr)
Landmarke am Hafen
In vielerlei Hinsicht setzt der umgebaute Speicher am Barther Hafen, der von Jachten und Freizeitwassersportler:innen rege in Anspruch genommen wird, bis heute ein Zeichen. Der in den Details durchaus verspielte Entwurf Gienckes weiß die Fernwirkung der prominenten Lage zu nutzen. So sollen etwa die weißen Schiebeläden vor den einzelnen Hotelzimmern geschlossen werden, wenn sie frei sind – und können damit weithin sichtbar Werbung für sich selbst machen. An der dem Hafen abgewandten Ostseite wiederum verbindet ein niedriger Anbau hinter den Parkplätzen verschiedene Lagerräume für Strandkörbe und anderen Hotelbedarf zu einer stimmigen gestalterischen Geste. In der Gesamtschau erhielt diese Umnutzung beim Landesbaupreis Mecklenburg-Vorpommern 1998 eine anerkennende Erwähnung.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt/Greifswald, Mai 2022
Giebler, Georg u. a. (Bearb.), Atlas Sanierung. Instandhaltung, Umbau, Ergänzung (Detail Atlas), Basel 2008, hier S. 218–221.
Online-Präsenz des Architekturbüros Volker Giencke.
Online-Präsenz des Hotels Speicher in Barth.
Giencke, Volker, Hotel „Speicher Barth“ auf: Hidden Architecture, 2019.
Titelmotiv: Barth, Hotel Speicher (Bild: Karin Berkemann, 2020). Für den Bildnachweis in der Galerie klicken Sie bitte auf das jeweilige Bild. Im Beitrag wie in der Galerie sind Fotografien von Marius Bulla und Franz Wegener (beide via flickr) enthalten. Grundsätzlich zu den Bildrechten nach Creative Commons informieren Sie sich bitte online über die entsprechenden Bestimmungen.