Hannover, INI, Ostseite mit Freitreppe und Haupteingang (Bild: Ulf Ostländer, 2018)
BAU: International Neuroscience Institute (INI) im Medical Park Hannover
ADRESSE: Rudolf-Pichlmayr-Straße 4, 30625 Hannover-Groß-Buchholz
BAUZEIT: 1998–2000
MITWIRKENDE: SIAT Bauplanung und Ingenieurleistungen GmbH & Co. OHG (Architektur, Projektleitung: Thomas Gockeln, Ellen Weidner); Siemens Gebäudetechnik Nord GmbH & Co. oHG (technische Gebäudeausstattung); Büro Ackermann (Außenanlagen)
„Hirn von Hannover“ titelte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Herbst 2000, kurz zuvor schrieb das „baunetz“ angesichts einer akademischeren Zielgruppe von „architecture parlante“. Beides meint dasselbe, denn das International Neuroscience Institute (INI) zeigt seine Daseinsbestimmung nach außen: Die Form des Kopfes versinnbildlicht die Hirnforschung. Für diese gestalterische Grundidee zeichnete der Gründer der Privatklinik, Prof. Dr. Madjid Samii, verantwortlich. Auch die mediale Aufmerksamkeit, die mit dem 38 Meter hohen Bauwerk einherging, hatte der Neurochirurg vorausschauend einkalkuliert. Nicht umsonst war der Termin für die Eröffnung des INI, der 21. Juli 2000, ein Programmpunkt der damals in Hannover stattfindenden Weltausstellung EXPO.
Hannover, INI, Südwestseite, im Hintergrund der Funkturm und die Medizinische Hochschule (Bild: Klaas Vermaas, 2009)
Ein Großprojekt
Von Anfang an war das Vorhaben ein Großprojekt, für das finanzstarke Partner:innen eintraten. Zur INI-GmbH taten sich Gesellschafter:innen wie Siemens, der Privatklinik-Betreiber Asklepios, die Norddeutsche Landesbank und Sparkassen zusammen. Das Land Niedersachsen bürgte für das insgesamt 140 Millionen Euro teure Projekt mit 83,2 Millionen (nach anderen Quellen 104 Millionen). Mit dieser Sicherung konnte der Bau, dessen Grundstein man am 1. Dezember 1998 legte, in anderthalb Jahren zügig umgesetzt werden.
Schon im Herbst 2000 meldete das INI stolz die erste gelungene Operation. Frühzeitig hatte ein Kooperationsvertrag mit der benachbarten Medizinischen Hochschule sichergestellt, dass keine Konkurrenzgefühle aufkamen. Dieser Standort in Hannover-Groß-Buchholz, ein 27.000 Quadratmeter großes Areal im Medical Park, war strategisch klug gewählt – man profitierte von einem Netzwerk renommierter Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer Institut und dem Max-Planck-Institut. Hier wurde das INI auf seinem trapezförmigen Grundstück wie auf dem Silbertablett präsentiert: im Westen der Park für die Patient:innen, im Osten der Zugang über eine Brücke und eine Freitreppe.
Hannover, INI, Schnitt durch den Bau mit neun oberirdischen Etagen und einem Kellergeschoss (Bild: Schnitt)
Eine technische Leistung
Für das Bauvorhaben beauftragte man bewusst keinen namhaften Stararchitekten, sondern verwies stets auf den Klinikgründer als (Vorsicht, Wortspiel) Gehirn hinter der bildhaften Form. Die Öffentlichkeitsarbeit betonte gerne die ingenieurstechnische Dimension, und versprach damit durch die Blume auch eine präzise chirurgische Leistung im Inneren. Für die Ausstattung des Gebäudes sorgte Siemens, die architektonische Seite übernahm die Münchener Siemenstochter SIAT – mit Thomas Gockeln und Ellen Weidner in der Projektleitung. Als Generalunternehmerin trat schließlich die Philipp Holzmann AG auf.
Das architektonische Bild, der menschliche Kopf, bestimmt viele gestalterische Details. Um der Form des Großhirns zu entsprechen, weitet sich der elliptische Grundriss des Gebäudes stufenweise bis zum fünften Geschoss, um sich danach wieder zu verjüngen. Selbst die vorgelagerten Wartungsbalkone folgen dieser Krümmung. In der zweischichtigen Gebäudeschale weist die Klimahülle mit transparenten und opaken Gläsern nach innen. Nach außen setzt sich eine zweite Schale aus bedruckten Glaselementen zusammen. Auch an das Kleinhirn wurde gedacht, für das man im Westen zeichenhaft eine Betonwandscheibe mit Alublechverkleidung auf halbkreisförmigen Grundriss einfügte. Im Gegensatz dazu ist der übrige zweigeschossige Sockelbereich transparent gehalten, um sich im Osten zum Haupteingang zu öffnen.
Hannover, INI, die beiden gläsernen Panoramaaufzüge im Gebäudeinneren (links) und ein Detail der Gebäudehülle mit den Wartungsbalkonen (rechts) (Bilder: links: radiant guy, CC BY NC SA 2.0, via flickr, 2009; rechst: Ulf Ostländer, 2018)
Von großer Klarheit
Die bauliche Hülle – eine Mischung aus Ortbeton, Betonfertigelementen und Stahlverbundkonstruktionen – ist ganz dem gewählten Bild verpflichtet. Dagegen bleibt das Innere meist rechtwinklig, was für Klarheit und eine bessere Orientierung sorgen soll. Anlieferungen und Krankenwagen erreichen die Klinik über Zugänge und Zufahrten im Kellergeschoss. Betritt man das INI hingegen als Patient:in und Besucher:in von Osten über die Brücke und das Hauptportal auf Erdgeschoss-Höhe, erschließt sich ein gläsern überdachtes Atrium, das im elliptischen Rund von Galerien umfangen wird.
Im Kernbereich führen zwei gläserne Panorama-Aufzüge in die unterschiedlichen Etagen. Daneben finden sich hier die Bettenaufzüge, Technikschächte und Fluchttreppenhäuser. Die Funktionen des INI bauen stufenweise aufeinander auf. Im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss, die sich beide nach außen als Sockelzone präsentieren, sind Forschung und Lehre untergebracht. Die drei darüberliegenden Stockwerke bleiben den Patient:innenzimmern mit insgesamt rund 100 Betten vorbehalten. Es folgen eine Etage für die Operationssäle und die Intensivstation, zuletzt das Therapiezentrum, der Ärzt:innenbereich und das Technikgeschoss.
Teheran, das dortige INI wurde nach dem Hannoverschen Vorbild errichtet (Bild: Mahdijiba, CC BY SA 4.0, 2017)
Ein Vorbild
Bildhafte Bauten sind nichts Neues, von der Revolutionsarchitektur des 18. Jahrhunderts bis zu den allfälligen Gotteszelten der Nachkriegszeit. Auch „Learning from Las Vegas“, die Programmschrift der Postmoderne, sprach 1972 liebevoll-ironisch von der „Duck Architecture“ – für Bauten, die ihre Funktion als Bild nach außen stülpen. Als Beispiel diente ein übergroßes, eben entenförmiges Gebilde, mit dem ein Farmer an einer Straße von Long Island zeichenhaft für seine Erzeugnisse warb.
In Hannover, das im EXPO-Jahr reich an derart sprechenden Bauten war, verknüpfte man für das INI munter verschiedenste Vorbilder. Was im Schnitt an einen gestauchten Berliner Bierpinsel erinnert, bedient sich mit einem geometrisch gestutzten Park und einer Neuinterpretation des Mittelrisalit-Portals ebenso der Prunkarchitektur des Barock. Alles zusammengenommen, funktioniert das „Brain House“, wie es Hobbyfotograf:innen getauft haben, als Bild bis heute und hat bereits Nachfolger gefunden. In Peking errichtete man 2006 ein zweites INI – und in seinem Heimatland, im Iran, konnte Madjid Samii 2016 ein drittes INI verwirklichen. Auch dieses gleicht dem älteren Bruder in Hannover bis ins Detail, doch jetzt ist alles noch eine Nummer größer ausgefallen.
Text: Karin Berkemann, Juli 2023
Hannover, INI, Grundriss des zweiten Obergeschosses (Bild: Grundriss)
Hannover, INI, Nordseite (Bild: Klaas Vermaas, 2009)
Hannover, INI, Blick von Osten (Bild: Ulf Ostländer, 2018)
architecture parlante… Grundsteinlegung für ein Gebäude in Gehirnform in Hannover, in: baunetz.de, 3. Dezember 1998.
Erste Operation im „Hirn von Hannover“, in: spiegel.de, 2. Oktober 2000.
International Neuroscience Institute in Hannover. Ausführung als Generalunternehmer, hg. von der Philipp Holzmann AG, Hannover 2001 (Broschüre).
Braun, Hardo/Grömling, Dieter (Hg.), Entwurfsatlas Forschungs- und Technologiebau, Basel u. a. 2005, S. 224–225.
Kaune, Juliane, INI ist Vorbild für Klinik in Teheran, in: Hannoversche Allgemeine, 15. April 2016.
Online-Auftritt des INI Hannover.
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