ORTE: 1) Landschaftspark Duisburg-Nord, 2) Halde Rheinelbe, 3) Wissenschaftspark Gelsenkirchen, 4) Bundesgartenschaugelände Gelsenkirchen (Nordsternpark)
ADRESSEN: 1) Emscherstraße 71, 47137 Duisburg, 2) Leithestraße, 45886 Gelsenkirchen, 3) Munscheidstraße 14, 45886 Gelsenkirchen, 4) Am Bugapark 1, 45899 Gelsenkirchen
BAUZEITEN: 1) 1990–1999, 2) 1999, 3) 1989–1995, 4) 1993–1997
MITWIRKENDE: 1) Peter Latz (Latz + Partner), Jonathan Park, 2) Herman Prigann, 3) Uwe Kiessler, 4) Wedig Pridik (mit PASD Feldmeier und Wrede und Horst Relleke)
PREISE: 1) 2000 Europäischer Preis für Landschaftsarchitektur Rosa Barba, 2001 Grande Medaille d’Urbanisme, u. a., 3) 1995 Deutscher Architekturpreis
Während sich anderswo die Stadtentwicklung in den 1990er Jahren mit der Optimierung der städtischen Performance beispielsweise durch schicke Architektursolitäre beschäftigte, um im Zuge der Globalisierung wahrnehmbarer zu werden, hatte das Ruhrgebiet ganz andere Probleme. Es lag seit einiger Zeit schon schlicht und einfach am Boden – ökonomisch, optisch, mental, in der Außen- und der Innenwahrnehmung. Tote Industrieflächen, ein paar Mitleid erregende alte Zechen im nördlichen Ruhrgebiet arbeiteten noch subventioniert vor sich hin – alles Zeichen für das Sterben einer Region, die ausschließlich auf eins gesetzt hatte: auf Kohle und Stahl. Das Ruhrgebiet wurde härtestens durch den Strukturwandel getroffen, der Stolz der Menschen, die einst unter Tage malochten, war gebrochen. Aber trotzdem schlug ihr Herz weiter für ihren Pott.
Was sich allerdings auf dieser Grundlage im Ruhrgebiet der 1990er Jahre entwickelte, war rückblickend ein eigenwilliger, selbstbewusster, fantasievoller, international beachteter Ansatz der Reparatur einer Region, der mit den weichen Standortfaktoren begann und mit neuen Bildern für die Menschen endete. Der Schwerpunkt der Arbeit lag bei der ökologischen Erneuerung und der Schaffung eines zusammenhängenden Grünraums. Die Mitwirkenden: visionäre Denker:innen und mutige Planer:innen unter dem Dach der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park, die durch die Landesregierung Nordrhein-Westfalen als Strukturprogramm für zehn Jahre installiert war, üppige Förderprogramme und nicht zuletzt gute Landschaftsarchitekt:innen und weltoffene Bürger:innen. Und ganz am Anfang gab es Zeit zum Wahrnehmen, Zeit zum Beobachten, Zeit zum Wachsenlassen, Zeit zum Akzeptieren.
Duisburg, Landschaftspark Duisburg-Nord, 2020 (Bild: Dietmar Rabich, Wikimedia Commons, 7803-5”, CC BY SA 4.0)
Vom Hüttenwerk zum Bürger-Park
Als das Hüttenwerk in Duisburg-Meiderich im April 1985 den Betrieb einstellte, war es plötzlich nicht mehr Identitätsgeber. Von einem auf den anderen Tag war es Schrott. 200 Hektar No-Go-Area. Natürlich reagierte die Mehrheit zunächst mit einem verständlichen Impuls: Abreißen! Weg mit den Zeichen des Niedergangs! Für einen symbolischen Betrag erwarb das Land Nordrhein-Westfalen das Areal. Aber es passierte nichts. Die Zeit verging, Gräser wucherten, Birken gediehen auf Mauern. Die Kulisse verlor ihre furchteinflößende Ausstrahlung, die Menschen näherten sich zaghaft. Historiker:innen sahen bereits ein gigantisches Museum vor ihrem inneren Auge, Sportler:innen fingen an, die Betonwände der Materialbunker zum Klettern auszuprobieren, Taucher:innen erkundeten die mit Regenwasser vollgelaufenen unterirdischen Teile der Bunker. Das Eis war gebrochen, das Undenkbare bahnte sich den Weg: Man traute sich, darüber nachzudenken, wie man das alles noch gebrauchen könnte.
Diese Impulse verwandelte die IBA Emscher Park: Landschaftsarchitekt Peter Latz entwickelte einen Entwurf für das Areal, bei dem im Grunde alles so gelassen wurde – ein gleichberechtigter Dialog aus alter Industrie und neuer Nutzung. Die bereits vorhandenen Ideen wurden eingebaut: Neben einem Kletterparcours entstand in dem ausgedienten Gasometer durch die Initiative eines Vereins ein Tauchzentrum mit Unterwasserlandschaft und 13 Metern Tiefe, ein Hochofen dient als Aussichtsturm, eine Abstichhalle ist inspirierende Kulisse für Theater und Kino, die alte Gebläsehalle mit ihren Kirchenschiff-Maßen hat sich schon früh als konzerttauglich erwiesen. Und die wohl gigantischste Halle weit und breit, die alte Kraftzentrale, ist schließlich zu einer Musik- und Ausstellungslocation geworden, die all das erlaubt, was in konventionellen Stadttheatern nicht möglich ist. Über die Bunker und durch die kleinen Gartenkabinette, die in ihnen angelegt wurden, führen Wege.
Nichts ist kaschiert worden. Im Gegenteil: Die Landschaftsarchitektur arbeitet dem Industriegiganten zu und inszeniert ihn. Der Gipfel der Inszenierung ist sein Nachtbild: Die eine grell-bunte Illumination von Jonathan Park. Ein Bild, das das neue Selbstbewusstsein des Ruhrgebiets ausstrahlt. Eine Million Besucher:innen kommen jährlich in den Landschaftspark Duisburg-Nord. In diesem ehrlichen, strapazierfähigen, inspirierenden Park entstand eine kluge Landschaftsarchitektur, die begriffen hatte, welchen Wert es hat, die baulichen Zeichen einer Epoche nicht zu schleifen, sondern zu akzeptieren und in eine Einzigartigkeit zu überführen.
Wissenschaftspark Gelsenkirchen (Bild: Wissenschaftspark/Jabs)
Ein traditionsreiches Areal
„Der 1995 eingeweihte Wissenschaftspark Gelsenkirchen entstand auf einem traditionsreichen Areal. Im 19. Jahrhundert wuchs es vom Handwerksbetrieb (Munscheid, Nagelschmiede der Gebrüder Straßburger) zu einem namhaften Gussstahl-Werk. Auf einem Abschnitt im Norden entstanden Teile des Bergwerkes Rheinelbe. Nach der Stilllegung und Bodenaufbereitung sollte das Areal einer dichten schematischen Wohnbebauung zugeführt werden. Das Auftreten der IBA war ein großes Glück. Ich fand den Entwurf im ersten Moment wegen seiner Größe und starren Gebäudegliederung unpassend für Ückendorf. Heute urteile ich: Er hat sich bewährt, setzte Maßstäbe für spätere Neubauten wie ein großes Gerichtszentrum. Und er gab Impulse für die Modernisierung eines benachbarten gründerzeitlichen Straßenabschnittes.
Ein gelungener Einfall des IBA-Teams war es, die zukünftige Kubatur temporär durch ein Stangengerüst sichtbar zu machen. Sehr wichtig und städtebaulich gelungen: die Bewahrung des früheren Verwaltungsgebäudes. Die kammförmigen angeordneten Büroflügel erdrücken ihr Straßenraum-Gegenüber nicht. Es gibt Platz zur Entfaltung durch vorgelagerte Grünflächen und besonders die künstliche Wasserfläche nach Westen. Mit dem heute WIPA genannten Gebäude – und das macht seine besondere Qualität aus – entstand ein großer, fast urbaner, öffentlich genutzter, heller Innenraum. Originell sind Elemente wie die große schräge Glaswand, deren Öffnen leider fast nicht mehr geübt wird. Zu nennen sind ebenso diskrete Details wie die hölzernen Fußböden, Treppenstufen und Handläufe, weiß verputzte Wände, kein Kunststoff, viel Glas und die farbige Beleuchtung des Künstlers Dan Flavin.“
Lutz Heidemann, früherer Stadtplaner, jetzt Bauhistoriker, Gelsenkirchen
Gelsenkirchen, Bundesgartenschaugelände (Nordsternpark) (Bild: PD)
Von der Zechenfläche zur Gartenschau
Als 1991 Gelsenkirchen für das 110 Hektar große Gelände der damals noch aktiven Zeche Nordstern den Zuschlag für die Durchführung einer Bundesgartenschau im Jahre 1997 erhielt, war die Skepsis groß. Viel größer allerdings war die Entschlossenheit aller Beteiligen, hier nicht nur Landschaftsaufbau betreiben zu wollen, sondern der Vergangenheit eine Bühne und einen landschaftsarchitektonischen Rahmen zu geben. Diesen Nerv traf der Landschaftsarchitekt Wedig Pridik aus Marl (Kooperation mit PASD Feldmeier und Wrede und Horst Relleke), der als Preisträger aus einem Wettbewerb hervorging. Den Großstrukturen des ehemaligen Zechenbetriebes setzte er angemessen ausladende, klare neue Landschaftselemente entgegen: Schon im Eingangsbereich wird den alten Fördertürmen durch eine großzügige Platz- und Treppensituation ein eigener Auftritt bereitet.
All die ungewöhnlichen Gebäude dienten damals im leergezogenen Zustand als Blumenhallen, heute beherbergen sie Büros. Überregional blieb das dann folgende Bild in den Köpfen hängen: Ein Durchstich durch eine Halde ermöglichte eine Wegführung und Blickachse, die auf eine „nutzlos“ gewordene, zu BUGA-Zeiten künstlerisch bespielte Gebäudeskulptur hinleitet – den ehemaligen Kohlebunker. Das Haldenmaterial ist wegbegleitend zu einer Pyramide geschichtet worden. Auch das hat man sich getraut: Die zum stinkenden Abwasserkanal umfunktionierte Emscher wurde in den BUGA-Park integriert. Eine schonungslose Begegnung mit dem Pott. Und gerade diese BUGA war schließlich ein Auslöser für die Entwicklung des „Gewerbeparks Nordstern“ und ist heute ein beliebter Park.
Gelsenkirchen, Halde Rheinelbe, „Himmelstreppe“ von Hermann Prigann (Bild: Arnoldius, CC BY SA 4.0, 2019)
Natur machen lassen
Eine Wildnis im Gelsenkirchener Süden, entstanden von ganz allein, dort, wo bis 1928 die Kohle zutage gefördert wurde. Nur noch ein paar alte neu genutzte Gebäude sind im Eingangsbereich dieses Industriewaldes erhalten. Hier sind sogar Jahrzehnte verstrichen, ohne dass sich jemand gekümmert hätte, ein vergessenes Areal. Zum Glück: Hier sind nach dem Abriss der Zeche auf kargen Böden, in denen heute noch viele Fundamente schlummern, einzigartige Pflanzengesellschaften entstanden. Kein:e Landschaftsarchitekt:in hat hier je Hand angelegt, die Natur hat das selbst organisiert. Hier treffen drei Kontinente in Pflanzenform aufeinander: die schlanke Staude der gelb blühenden Goldrute aus Nordamerika, der Schmetterlingsstrauch aus Asien und das schmalblättrige Greiskraut aus Südafrika, das mit den Erztransporten einwanderte. Ein Förster betreut diese und andere ähnliche Flächen im Ruhrgebiet.
Die einzigen „Eingriffe“ hat der Art-In-Nature-Künster Herman Prigann hier getätigt, aber auch mit ihnen darf die Natur arbeiten: Abrissfundstücke aus alten Industriearealen sind hier platziert, teilweise verwittert oder überwuchert. Seine Kunst hat er als archäologische Arbeit gesehen, er hat punktuell und rätselhaft das ans Tageslicht geholt, was einst irgendwo im Boden der Werksanlagen steckte. Am südlichen Ende der Wildnis wird allerdings noch einmal die Künstlichkeit der Ruhrgebietslandschaft präsentiert: Die schwarze Mondlandschaft einer Halde ist zu einer kegelartigen Erhebung aufgeschüttet worden. Spiralförmige Wege führen zur Gipfelskulptur aus Betonteilen. Von hier oben hat man einen tollen Blick auf alle Schornsteine, Halden, Kühltürme der Region.
Landschaftspark Duisburg-Nord (Bild: Dietmar Rabich, Wikimedia Commons, 7772”, CC BY SA 4.0, 2020)
Industrielandschaft bleibt Industrielandschaft
Die experimentelle Landschaftsarchitektur der 1990er Jahre im Ruhrgebiet hat geholfen, die Region neu zu präsentieren. Aber die vorbereitende Erkenntnis dazu gab es schon vorher: Industrielandschaft bleibt Industrielandschaft. Selbst die umfangreichsten Maßnahmen, die Vergangenheit zu überpflanzen, werden in so einem Raum zu einer lächerlichen Lüge. Das Ruhrgebiet ist reich an Zeichen der industriellen Vergangenheit, die es nie leugnen würde. Und das ist gut so.
Text: Anette Kolkau, Journalistin, bis 1999 Pressesprecherin der IBA Emscher Park
Galerie
Titelmotiv: Landschaftspark Duisburg-Nord (Bild: PD). Der Bildnachweis für die Galerie erscheint beim Kick auf das jeweilige Foto.