Weimar, Marktplatz, Nordseite, Markt 3-5 (Bild: Nikolai Karaneschev, CC BY SA 3.0, 2013)
BAU: Markt-Nordseite
ADRESSE: Markt 3–5, 99423 Weimar
BAUZEIT: 1988–1993
MITWIRKENDE: VEB Stadtbau Weimar, Komplexarchitekt Arno Gebauer; VEBA Wohnen AG Bochum (Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG, später Viterra Gewerbeimmobilien GmbH Essen)
Steht man im historischen Zentrum der Klassikerstadt Weimar, das berühmte Hotel Elephant im Rücken, scheint der quadratische Marktplatz von historischen Bauten gerahmt: das neugotische Rathaus im Westen, ihm gegenüber das Stadt- und das Cranachhaus mit ihren Renaissanceformen, im Mittelpunkt der barocke Neptunbrunnen. Auch die nördliche Häuserzeile entspricht diesem Bild. Auf ein hohes Erdgeschoss folgen je zwei, durch Gesimse getrennte Etagen mit hochrechteckigen Sprossenfenstern, überfangen von einem steilen Satteldach mit mehreren Reihen von Gauben. Doch hinter dieser Fassadenfolge steckt eine lange Diskussions- und Planungsphase, die von der DDR-Zeit bis in die ersten Jahre der Wiedervereinigung reicht.
Weimar, Marktplatz, links die Nordseite (Markt 4–6), rechts das Stadthaus, vor 1922 (Bild: Paul Wolff, CC0 1.0, vor 1922)
Zerstörung und Wiederaufbau
Die Geschichte des Platzes reicht ins Mittelalter zurück, doch erst 1547 erlangte er – mit dem Aufstieg Weimars zur ständigen kurfürstlichen Residenz – größere Bedeutung. Diese fand ihren Ausdruck in einer Reihe von klar gegliederten Renaissancehäusern, darunter Hofapotheke, Rathaus und Neptunbrunnen. Schon vor den Kriegszerstörungen von 1945 wurde der Brunnen im 18. Jahrhundert erneuert, erhielt das Rathaus Mitte des 19. Jahrhunderts seine neugotische Gestalt. Noch 1905 errichtete man das Warenhaus Tietz an der Nordwestecke des Marktplatzes.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, am 9. Februar 1945, wurde das Marktplatz-Ensemble in weiten Teilen zerstört. Das Stadthaus hatte man bereits bis 1971 wiederhergestellt – im Inneren moderne Räume, nach außen die historische Fassade. Doch die Parzellen der Markt-Nordseite wurden nur beräumt und blieben zunächst brach liegen, als Grasfläche mit Bäumen und ein paar Parkplätzen. Doch historische Teilstücke konnten gerettet und später wieder eingebunden werden, darunter der Erker und das Sitznischenportal der Hofapotheke (Markt 4).
Weimar, Markt 4, Hofapotheke mit Erker und Sitznischenportal im Renaissancestil (Bilder: links: Nightflyer, CC BY SA 4.0, 2019; rechts: Lucas Friese, CC BY SA 3.0, 2014)
Der lange Weg zur Umsetzung
Erste Überlegungen für den Wiederauf- und Neubau des Marktplatzes sahen für die Nordseite zwar den historischen Maßstab, aber moderne Formen und Konstruktionen vor. Erst 1965 brachte ein konkreter Architekturwettbewerb die Planungen für die Ost- und Westseite des Marktplatzes wieder ins Rollen. Den prämierten Entwurf des Dresdener Kollektivs um Leopold Wiel, teilweise historische Fassadenbilder bei modernem Innenleben, wollte man jedoch überarbeitet und weiterentwickelt wissen, um das Vorhaben am Ende wieder in der Schublade verschwinden zu lassen. Zunächst lag der Schwerpunkt auf imageträchtigeren Bauten wie dem Goethe- und Schillerhaus.
Knapp zehn Jahre später wurde die Markt-Nordseite 1984 zum Thema des vierten Internationalen Entwurfseminars in Kooperation mit der örtlichen Hochschule für Architektur und Bauwesen. Nun sollte den Forderungen der Denkmalpflege stärker Rechnung getragen werden, u. a. durch die Wiederverwendung geretteter Originalbauteile. Der italienische Architekt Franco Stella hingegen nahm in seinem Entwurf einen deutlich postmodernen Ansatz. Doch am Ende fiel die Entscheidung zugunsten einer historischen Anmutung, hinter der eine Mischung aus der Plattenvariante WBS 85, Sondersegmenten und monolithischer (gemauerter) Bauweise stecken sollte. Mit der Ausführung beauftragte man den Volkseigenen Betrieb (VEB) Stadtbau Weimar, angeleitet durch den Komplexarchitekten Arno Gebauer.
Weimar, Markt-Nordseite, links der mit postmodernen Elementen spielende Neubau (Kaufstraße 2), rechts die Neubauten mit historischer Anmutung (Markt 3–5) (Bild: Krzysztof Golik, CC BY SA 4.0, 2018)
Zurück auf postmodern
Nach der Wiedervereinigung übernahm die VEBA Wohnen AG Bochum (später Viterra Gewerbeimmobilien GmbH Essen) die weitere Entwicklung für die gesamte Markt-Nordseite. So kleinteilig sich die Häuser Markt 3–5 mit ihren (in Höhe und Tiefe gestaffelten) Dächern und Fassaden auch zeigten, so eng waren sie im Innenleben – bis hin zu gemeinsamen Treppenhäusern – zusammen gedacht.
Für die explizit (post-)modern daherkommenden Neubauten, welche die historisch anmutenden Bauten Markt 3–5 rahmen, zeichnete der Münchener Architekt Michael Ludes (*1955) verantwortlich. Auch die Südseite des Marktplatzes – die Häuser rund um das Hotel Elephant, die man in den 1930er Jahren niedergelegt und harmonisierend wiederaufgebaut hatte – wurden bis 1993 saniert und in ihrem äußeren Erscheinungsbild harmonisiert.
Text: Karin Berkemann, April 2024
Weimar, Marktplatz, die nach historischem Vorbild neu errichteten Häuser (Markt 4–5) werden rechts begleitet durch einen gestalterisch freier gehaltenen Neubau (Markt 6) (Bild: © R.Möhler, CC BY SA 3.0, 2007)
Weimar, Marktplatz, Blick von der Brache der kriegszerstörten Nordseite in Richtung von Neptunbrunnen, Stadt- und Cranachhaus (links) und Hotel Elephant (Bild: Bundesarchiv, Bild 183-P0614-0009, CC BY SA 3.0, 1975)
Zapf, Julian/Koerber, Paula/Meiner, Laura, Zone Heimat – Altstadt im modernen Städtebau. Gerhard Vinken, Poster im Rahmen des Seminars „Stadt als Denkmal“ im Sommersemster 2020 an der Bauhaus-Universität Weimar unter der Leitung von Dr. Ing. Mark Escherich.
Bašić, Amar, Ensemble nördlich des Marktes. „Historie nicht imitieren“, in: Engelberg-Dočkal, Eva von/Trepte, Oliver (Hg.), Stadtbilder Weimar. Städtische Ensembles und ihre Inszenierungen nach der politischen Wende, Heidelberg 2019, S. 134–146.
Ebert, Mechthild/Nuethen, Lars, Markt-Nordseite, in: Engelberg-Dočkal, Eva von/Vogel, Kerstin (Hg.), Sonderfall Weimar. DDR-Architektur in der Klassikerstadt (Forschungen zum baukulturellen Erbe der DDR 1), Weimar 2013, S. 241–250.
P. F., Historie nicht imitieren, in: Thüringer Tageblatt, 14. November 1991.
Zimmermann, Monika, Disneyland in Weimar, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Januar 1989.
Online-Auftritt des Architekturbüros Ludes.
Zu Bildrechten nach Creative Commons informieren Sie sich bitte online über die entsprechenden Bestimmungen.