Berlin-Hellersdorf, Ausstellungszentrum Pyramide (Bild: Karin Berkemann 2024)
BAU: Ausstellungszentrum Pyramide
ADRESSE: Riesaer Straße 94, 12627 Berlin-Marzahn-Hellersdorf
BAUZEIT: 1991–1994, im ersten Bauabschnitt eines Bürodienstgebäudes (Rathaus Hellersdorf), 1991–1998
ARCHITEKT:INNEN: Ralf Schüler, Ursulina Schüler-Witte
Pyramiden hatten in den frühen 1990er Jahren Hochkonjunktur. Inspiriert durch die gläserne Pyramide, die der Architekt Ieoh Ming Pei 1989 in den Innenhof des Pariser Louvre gesetzt hatte, erhielt auch Berlin 1995 in der Landsberger Allee ein gleichnamiges Bürogebäude. Im selben Jahr entstand im brandenburgischen Kolkwitz gleich ein ganzes Technologiezentrum als Doppelpyramide. Für den Berliner Stadtteil Hellersdorf nutzten die Architekt:innen Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte 1994 die unverwechselbare Form für kulturelle Zwecke: Damit öffneten sie ein Bürodienstgebäude, dessen Wurzeln bis in die späte DDR-Zeit zurückreichen, 1994 zum Quartier.
Berlin-Hellersdorf, Ausstellungszentrum Pyramide (Bild: Karin Berkemann 2024)
Über Eck
In den letzten Jahren der DDR sollte in Hellersdorf, auf einem Grundstück zwischen Jenaer, Riesaer und Freiburger Straße, eigentlich ein Polizeipräsidium errichtet werden. Doch die Wiedervereinigung unterbrach die Arbeiten und ließ einen Rohbau zurück. Am 15. März 1991 gab der Berliner Senat an Ralf Schüler (1930–2011) und Ursulina Schüler-Witte (1933–2022) den Auftrag, das brachliegende Projekt als Bezirksrathaus weiterzubauen. Bis 1998 belebten die Architekt:innen die kantige dreiseitige Anlage durch Vor- und Rücksprünge, gerundete Ecken, prismenförmige Treppenhäuser und einen Materialmix aus Backstein-, Metall- und Glasoberflächen. Zur Riesaer Straße wurde eine Art Mittelrisalit ausgebildet, zur Einmündung der Jenaer Straße hin schoben die Architekt:innen die Pyramide wie einen Schiffsbug ins städtebauliche Umfeld.
Noch im ersten Bauabschnitt des Gesamtprojekts, am 17. August 1994, eröffnete man die Pyramide mit einer ersten Schau über Berliner Bildhauer:innen. Bei Ursulina Schüler-Witte heißt das Ausstellungszentrum in ihrer rückblickenden Werkschau 2015 liebevoll „unser kleinster Museumsbau“. Dabei ermöglichten es die Architekten:innen durch eine komplexe Bauform, auf sechs Ebenen komfortable 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche unterzubringen: im Pavillon, in der Galerie und in der Pyramide (mit Untergeschoss, Erdgeschoss und Spitze). Nach außen zeigt sich das Ausstellungszentrum als Verbindung mehrerer geometrischer Formen. Die drei Geschosse der Pyramide werden verbunden über eine Wendeltreppe, die nach außen turmartig in Erscheinung tritt. Mit blitzförmiger Silhouette leitet der eingeschossige Pavillon zum Bürodienstgebäude über. In den Oberflächen des Ausstellungszentrums – Glas und Stehfalzdeckung – werden Impulse aus dem Gesamtkomplex aufgenommen, um sich im Farbkonzept wieder davon abzuheben. Wo bei der Pyramide Anthrazit und Weiß vorherrschen, kennt der Bürobau Mintgrün und Magenta, Eierschale und Backsteinrot.
Berlin-Hellersdorf, Ausstellungszentrum Pyramide (Bilder: Schnitt und Aufsicht)
Schüler und Witte und Schüler-Witte
Ursulina Witte und Ralf Schüler hatten sich während des Architekturstudiums in der TU Berlin kennengelernt und wechselten 1961 – Witte nach dem, Schüler ohne das Diplom – in das Büro von Bernhard Hermkes. Mit dem viel beachteten Wettbewerbsentwurf für den U-Bahnhof Schloßstraße machten sich beide 1967 selbständig und heirateten. Es folgten für das Berlin der 1970er Jahre prägende Bauten von Bierpinsel (1976) bis ICC (1979). Im Spätwerk verlagerte sich der Schwerpunkt auf Renovierungs-, Erweiterungs-, Wiederaufbau- und Brückenprojekte.
Die Um- und Neugestaltung des geplanten Polizeipräsidiums zum Rathaus und letztlich zum Bürodienstgebäude steht am Wechsel des Büros Schüler zu seinem Spätwerk. Hier nähert sich ein West-Berliner Architekt:innenpaar städtebaulich klug einem Ost-Berliner Standort, noch dazu an einer prominenten Straßenkreuzung in einer der typischen Plattenbau-Satellitenstädte der späten DDR-Zeit. Den Fensterbändern und Treppenhausschächten des Bürodienstgebäudes stellen sie mit der Pyramide bewusst eine Sonderform an die Seite. Die klassische Pyramide wird dafür – mehr Schultüte als ägyptisches Grabmal – in die Höhe gezogen und ihre matte Eindeckung zweifach aufgerissen, um glänzende Glasflächen freizugeben. Im Inneren spielen Kugelleuchten und ornamental gelochte Stahlträger mit Assoziationen zu Pariser Boulevards und Metoreingängen im Fin de Siècle.
Berlin-Hellersdorf, Ausstellungszentrum Pyramide (Bilder: Karin Berkemann 2024)
Kulturraum im Quartier
Das geplante Rathaus wurde an anderer Stelle verortet, aus dem Komplex in der Riesaer Straße wurde ein Bürogebäude, in dem heute das Bezirks- und Jugendamt von Hellersdorf untergebracht sind. In der Pyramide verschob sich der Schwerpunkt vom angedachten Bezirks- bzw. Heimatmuseum hin zu quartiersbezogenen Kunst- und Themenausstellungen, aber auch weiteren Kulturveranstaltungen. 2021 wurde die Beleuchtung des Sonderbaus auf energiesparende LED-Technik umgestellt. Bis heute behauptet sich die architektonische Sonderform in Städtebau und Nutzung. Die Architektin Ursulina Schüler-Witte erklärt die prägnante Silhouette 2015 als Sinnbild für „die Mobilität und zeitliche Begrenzung der hier geplanten temporären Kunstausstellungen“.
Text: Karin Berkemann, April 2024
Berlin-Hellersdorf, Ausstellungszentrum Pyramide (Bild: Karin Berkemann 2024)
Berlin-Hellersdorf, Ausstellungszentrum Pyramide (Bilder: Karin Berkemann 2024)
Berlin-Hellersdorf, Ausstellungszentrum Pyramide (Bilder: Karin Berkemann 2024)
Berlin-Hellersdorf, Ausstellungszentrum Pyramide (Bild: Karin Berkemann 2024)
Berlin-Hellersdorf, Bürodienstgebäude (Bild: Karin Berkemann 2024)
Berlin-Hellersdorf, Bürodienstgebäude (Bild: Karin Berkemann 2024)
Berlin-Hellersdorf, Bürodienstgebäude (Bild: Karin Berkemann 2024)
Berlin-Hellersdorf, Bürodienstgebäude (Bild: Karin Berkemann 2024)
Kasparek, David, Blickpunkt: Architektinnen – Ursulina Schüler-Witte, auf: Stylepark, 2. August 2022.
Schüler-Witte, Ursulina, Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte. Eine werkorientierte Biographie der Architekten des ICC, Berlin 2015, S. 146, 207–210 (hieraus auch die beiden obigen Zitate).
Online-Auftritt des Ausstellungszentrums Marzahn.
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