Mannheim, Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, Bau am Luisenring (Bild: Hubert Berberich, CC BY SA 3.0, 2019)
BAU: Yavuz-Sultan-Selim-Moschee
ADRESSE: Luisenring 28, 68159 Mannheim-Jungbusch
BAUZEIT: 1993–1995
MITWIRKENDE: (Mehmed) Bedri Sevinçoy (mabeg architektuur, Planung), Hubert Geißler (Projektleitung)
Sie gilt als einer der ersten prominenten modernen Moschee-Neubauten in Deutschland: 1995 wurde die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Mannheim eingeweiht. Am Luisenring, zwischen der Innenstadt und dem Jungbusch-Viertel, erhebt sich der Kuppelbau mit Nadelminarett gut sichtbar an einer Straßenecke. In der Mitte ruht der Moscheebau auf Rundstützen vor einem zurückgesetzten gläsernen Erdgeschoss. Darüber zeigt sich der von einem kupfernen Kuppeldach überwölbte Gebetssaal hochgeschlossen, nur von einem Raster dreieckiger Fensteröffnungen durchbrochen. Zur Straßenecke hin markiert ein Fensterkeil die Gebetsnische. Flankiert wird das Ensemble von je einem dreigeschossigen Wohnbau mit Lochfassade, der je durch ein halbrund vorgewölbtes Treppenhaus und ein aufgesetztes durchbrochenes Attikamotiv zum mittigen Gebetssaal überleitet.
Mannheim, Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, Frauenempore und Blick in den Gebetssaal (Bilder: links: H., via google-Maps, 2022; rechts: Mahmoud S. Baghlaf, via google-Maps, 2022)
Aus Utrecht nach Mannheim
Mit den Entwürfen für das Mannheimer Projekt wurde Mehmed Bedri Sevinçoy beauftragt. Geboren in Istanbul, wuchs er in einem international geprägten, eher säkular gestimmten Milieu auf. Zunächst folgte er dem Vorbild seines Vaters und studierte in seiner Heimatstadt. Als er auswanderte, setzte er seine Ausbildung in Arnhem fort und wurde daraufhin in den Niederlanden als Architekt anerkannt. Diese Kombination machte ihn dort besonders interessant für türkisch geprägte, muslimische Gemeinden, die ihn ab Ende der 1980er Jahre mit verschiedenen Moscheebauten beauftragten. In diesem Rahmen entwickelte er auch Ansätze für standardisierte Systeme, um kostensparend arbeiten zu können.
Zu Sevinçoys größeren Projekten zählen etwa die Fatihmoschee in Eindhoven (1989) oder die Sultan-Ahmet-Moschee in Zaandam (1994). In beiden Fällen verknüpfte er Vorbilder der osmanischen Tradition mit modernen Stilelementen. Sein Akzent lag hier vor allem in der Reduktion und Straffung der überlieferten Bauform, zudem band er profane Funktionen wie Wohnungen und Ladengeschäfte mit Gemeinderäumen und dem Kernbereich der Moschee unter einem Dach zusammen. Für Mannheim entschied sich Sevinçoy mit seinem Utrechter Büro mabeg architektuur und mit dem deutschen Projektleiter Hubert Geißler für einen zweigeteilten Ansatz: Nach außen zeigt sich der Bau – deutlicher als bei seinen früheren Projekten – in der Formensprache einer westeuropäischen Moderne, im Inneren herrschen Stilzitate der osmanischen Tradition vor. Auch viele Materialien von Holz bis Marmor wurden eigens aus der Türkei importiert.
Als Namenspatron wählte man den osmanischen Sultan Selim I. (1470–1520), der den Beinamen „der Gestrenge“ (Yavuz) erhielt. Getragen wird die Mannheimer Moschee von der sunnitischen Organisation DITIB (übersetzt: Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion). Im Aufbau folgte Sevinçoys dem traditionsreichen Typus der türkischen Zentralkuppelmoschee, doch mit einem markanten Unterschied – der Gebetssaal beruht auf einem kreisrunden Grundriss. Dieser erhält seine Richtung erst durch die halbrund eingefügte Frauenempore und die gegenüberliegende Gebetsnische (Mihrab) auf dreieckiger Grundfläche, die nach Mekka zur Kaaba weist und durch zwei seitliche Fensterschlitze belichtet wird.
Mannheim, Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, Rückseite (Bild: Romtomtom, CC BY 2.0, 2009)
Nutzungsmix
In den 1960er und 1970er Jahren kamen zahlreiche sog. Gastarbeiter:innen auch aus der Türkei nach Mannheim. Die wachsende muslimische Gemeinde versammelte sich ab 1972 zunächst in einem Raum in einem innerstädtischen Hinterhof. Als dieser aufgegeben werden musste, reiften in den 1980er Jahren die Pläne für einen Neubau. Das von der Stadt zur Verfügung gestellte Trümmergrundstück am Luisenring verlagerte den Standort leicht aus dem Zentrum, ermöglichte aber im Gegenzug eine neue Sichtbarkeit.
Der 1995 eingeweihte, überkuppelte Gebetsraum im Obergeschoss, ausgemalt mit blau- und goldtonigen, kalligrafischen und ornamentalen Motiven, fasst bis zu 2500 Menschen – schon einberechnet die 500 Plätze auf der Frauenempore. Zur Ausstattung gehören eine Turm- und eine Korbkanzel, beide in Holz gehalten, sowie der mittige monumentale Kronleuchter. Im Untergeschoss sind die Bereiche zur Vorbereitung und für Gemeindebelange untergebracht, darunter der Waschraum mit einem marmornen Brunnen. Nicht zu vergessen die zur Straße weisenden Ladengeschäfte und die flankierenden Wohnungen.
Mannheim, Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, Blick in die Kuppel über dem Gebetssaal (Bild: Immanuel Giel, CC BY SA 3.0, 2012)
Wegmarke
Bis heute hat sich die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee fast unverändert erhalten. Nur das Minarett musste nach Bauschäden 2005 vollständig ersetzt werden, schlanker und höher als sein Vorgänger. 1995 war das Mannheimer Nebeneinander von muslimischem und christlichem Turm noch ein beliebtes Fotomotiv. Doch während diese Entwicklung damals von der Forschung bestaunt und von intensiven Diskussionen begleitet wurde, hat sich das religiöse Bild der Städte inzwischen sichtbar gewandelt. Weitere prominente Moschee-Neubauten von Duisburg-Marxloh (2008) bis Köln (2017), auch die Umnutzung einer Kirche zu diesem Zweck in Hamburg-Horn (2018), vertreten die gelebte Vielfalt mit größerer Selbstverständlichkeit. Auf dem Weg, dafür eine eigenständige architektonische Tradition auszubilden, darf Mannheim als Initialzündung und wichtiger Meilenstein gelten.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald, Mai 2023
Mannheim, Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, Mimbar (Stufenkanzel für das Freitagsgebet) und Dreiecksfenster im Gebetssaal (Bilder: links: Hubert Berberich, CC BY SA 4.0, 2019; rechts: Immanuel Giel, CC BY SA 3.0, 2012)
Mannheim, Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, Waschraum im Erdgeschoss (Bild: Sbamueller, CC BY SA 2.0, 2012)
Mannheim, Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, Minarett in der Stadtsilhouette neben der Liebfrauenkirche und Gebetsnische im Gebetssaal (Bilder: links: Immanuel Giel, CC BY SA 3.0, 2011; rechts: Hubert Berberich, CC BY SA 2.5, 2006)
Mannheim, Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, schematische Darstellung des Bauwerks in den Fensterscheiben der Moschee (Bild: Immanuel Giel, CC BY SA 3.0, 2012)
Schenk, Andreas, Architekturführer Mannheim, Berlin 1999.
Hakim, Negar, Zur Geschichte und Gegenwart des Moscheebaus, in: Stegers, Rudolf (Hg.), Entwurfsatlas Sakralbau, Basel u. a. 2008, S. 46–53.
Roose, Eric Reinier, The Architectural Representation of Islam Muslim-Commissioned Mosque Design in The Netherlands, Amsterdam 2009.
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