Weimar, Musikgymnasium, Blick von Südwesten (Bild: Sascha Schröder, via flickr, 2022)
BAU: Musikgymnasium Schloss Belvedere
ADRESSE: Schloss Belvedere 1, 99425 Weimar
BAUZEIT: 1995–1996
ARCHITEKT:INNEN: Thomas van den Valentyn (Valentyn Architekten), Seyed Mohammed Oreyzi (smo architektur)
PREISE: 1996 Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau, 1997 Deutscher Kritikerpreis für Architektur
Wer in Best-of-Bauhaus-Bildbänden ein wenig zu Hause ist, wird sich bei diesen Fotos irritiert die Augen reiben: Vieles am Musikgymnasium in Weimar – einem langgestreckten weißen Quader mit schmalen Fensterbändern auf fünf schlanken Rundstützen-Paaren – erinnert an Ikonen der Zwischenkriegszeit wie die Villa Savoye (Le Corbusier/Pierre Jeanneret, 1931). Doch dann verweisen wieder andere Details – rostrote Holzwände neben dunklen Natursteinplatten und rahmenlosen Glasflächen – deutlich in die Jahre nach der Wiedervereinigung. Denn mit diesem preisgekrönten Schul- und Internatsbau glückte 1995/96 der Brückenschlag von einer klassischen Ortstradition, die kurz darauf zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben wurde, zu den gestalterischen Stärken einer zeitgenössischen Architektur.
Weimar, Musikgymnasium Schloss Belvedere, genordeter Lageplan der von 1995 bis 1996 hergerichteten Bauten (Bild: Lageplan, Bearbeitung: Karin Berkemann)
Unter die Historie gefallen
Aus einer „Spezialschule“ in der DDR-Zeit, deren Wurzeln wiederum bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, wurde nach der Wiedervereinigung 1991 das Musikgymnasium auf dem Areal von Schloss Belvedere. Nachdem man zunächst die dortigen Kavaliershäuser genutzt hatte, begannen mit der Einstufung als UNESCO-Förderschule 1994 die Vorplanungen für ein neues Ensemble. Südlich der Altstadt, in der weitläufigen Rokoko-Anlage, wurden dafür verschiedene historische Bauten neu in Szene gesetzt. Für die Internatsräume und die Verwaltung renovierte man den ehemaligen Gasthof aus dem frühen 18. Jahrhundert. Dieser wurde – in der Nachfolge und in der Formensprache des Rokoko – um zwei Neubauten zum Dreiseithof ergänzt, die weitere Internatsfunktionen und die Mensa aufnehmen konnten.
Nördlich des Dreiseithofs, am Ostufer des kleinen Gasthofsteichs, entstand von 1995 bis 1996 der einzige sichtbar neue Akzent des Internats. Der dreistöckige Baukörper nimmt im Erdgeschoss die Lehrer:innenzimmer und Fachseminarräume auf. Darüber sind um eine Galerie die Klassenzimmer angeordnet, während der Konzertsaal im Sockelgeschoss liegt. Dessen Sitzstufen-Oval lässt sich als „Waldbühne“ für insgesamt 300 Menschen in den Außenraum erweitern. In großer Klarheit treffen das helle Weiß der Putzflächen, das Rostrot der Holzwände, das helle Grau der Sichtbetonflächen und das dunkle Grau der Natursteinplatten auf die Transparenz der großzügigen Verglasung.
Weimar, Musikgymnasium, Blick von Südosten (Bild: Sascha Schröder, via flickr, 2022)
Teamwork
Als Bauherrin für das ehrgeizige Projekt engagierte sich die Deutsche Bank, über deren Kulturstiftung die Arbeiten finanziert wurden. Beim Wettbewerb um den Neubau wurden die beiden Kölner Architekten Seyed Mohammad Oreyzi und Thomas van den Valentyn 1994 mit dem ersten Preis ausgezeichnet und erhielten in der Folge den Auftrag. Der gebürtige Niedersachse Thomas van den Valentyn (* 1945) studierte nach Düsseldorf in Wien, hier u. a. bei Hans Hollein. Zu seinen bekannteren Frühwerken zählt der Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses (1988). Später lehrte er in Wien und Aachen, arbeitete aber immer auch von Köln aus als freier Architekt. In Weimar gehörten zu seinem Team außerdem Angela Ader, Beate Borghoff, Rüdiger Meissner, Christoph Merten, Isabelle Sak und Axel Schoth.
Der gebürtige Iraner Seyed Mohammad Oreyzi (1959–2020) kam über London nach Köln, wo er nach dem Studium sein Wirken als Künstler und Architekt entfaltete. Ab 1991 wirkte er im Büro von Thomas van den Valentyn als Projektleiter, bevor er sich 1994 selbständig machte. Auch in der Folge arbeiteten beide immer wieder zusammen, so für einen Auftritt bei der sechsten Architekturbiennale in Venedig (1996) oder für das Max-Ernst-Museum in Brühl (2004), das wie in Weimar neue Akzente im Bestand setzte.
Weimar, Musikgymnasium Schloss Belvedere, Blick von Nordosten (Bild: Aufsicht)
Haus im Park
Der Neubau des Musikgymnasiums versteht sich selbst, so die Architekten, als „Haus im Park“. Besonders in der Materialwahl findet dieser Anspruch seinen Ausdruck: Großzügige Glasflächen lassen die umgebende Natur im Erdgeschoss herein. Die auf dieser Ebene eingestellten Kuben und Quader, ebenso der Innenausbau, nutzen das Rostrot von Pitch Pine, einer besonderen Sortierung von Kiefernholz, als ebenso natürlichen wie markanten Farbakzent. Selbst zum Himmel öffnet sich das Musikgymnasium über ein langgestrecktes Oberlicht im Flachdach des weißen Quaders.
In dieser besonderen Umgebung muss der Bau rund 10 Meter Höhenunterschied überwinden. Dafür setzten die Architekten ihren weißen Quader nicht nur auf Stützen, sondern diese wiederum auf ein – mit dunklen Natursteinplatten verkleidetes – Sockelgeschoss. Darin seitlich eingeschnittene Treppen ermöglichen es Besuchenden, auch außen entlang am Gymnasium bis zu Wald und See zu gelangen. Hier wird der historische Landschaftspark selbst zum Akteur, umhüllte die Sitzstufen der nach Osten weisenden Waldbühne und begleitet die Westfassade als Gasthofteich. So wird das Haus im Park endgültig zum Haus am See, das sein umfangreiches Raumprogramm überraschend harmonisch in die Umgebung einzufügen weiß.
Weimar, Musikgymnasium, Treppe zum Obergeschoss (Bild: Fewskulchor, CC BY SA 3.0, 2009)
Neo-Bauhaus
Nach der Einweihung der Anlage im Jahr 1996 erhielt das Musikgymnasium weitere historische Bauten des Schlossensembles zur Nutzung: die renovierten Kavaliershäuser und das Mozarthaus. Wohl auch durch den vielfachen Rückgriff auf die lokale Geschichts- und Bautradition fand der Neubau des Musikgymnasiums rasch Anklang. Er wurde 1996 mit dem Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau sowie 1997 mit dem Deutschen Kritikerpreis für Architektur ausgezeichnet. Bis 2019, also mitten in den Bauhaus-Jubiläumsmonaten, wurde der Bau vom Büro Alexander Pfohl saniert.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald, November 2023
Weimar, Musikgymnasium Schloss Belvedere am Gasthofsteich, Blick von Südwesten (Bild: Dr. Bernd Gross, CC BY SA 4.0, 2014)
Weimar, Musikgymnasium Schloss Belvedere, Blick von Nordwesten, am rechten Bildrand die rekonstruierten Bauglieder des Dreiseithofs (Bild: Most Curious, CC BY SA 4.0, 2004)
Weimar, Musikgymnasium, Treppen zum Ober- und zum Sockelgeschoss (Bild: Fewskulchor, CC BY SA 3.0, 2009)
Weimar, Musikgymnasium, Dreiseithof, gelb verputzt die rekonstruierten Flügel, weiß verputzt der renovierte historische Gasthof (Bild: Lucas Friese, CC BY SA 3.0, 2014)
Denk, Andreas, Seyed Mohammad Oreyzi (1959–2020). Architektur ohne Grenzen, auf: Die Architekt, 28. April 2020.
Musikgymnasium Schloss Belvedere Weimar, auf: Architekturführer Thüringen, 1996.
Bericht zur Renovierung von 2019, auf: Architekturbüro Alexander Pfohl.
Online-Auftritt des Musikgymnasiums Schloss Belvedere.
Online-Auftritt von Valentyn Architekten.
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