Bad Münder am Deister-Eimbeckhausen, Wilkhahn-Produktionshallen, Blick von Nordwesten (Foto: Mandy Will, Bild: Wilkhahn)
BAUTEN: Produktionshallen und Energiezentrale der Firma Wilkhahn
ADRESSE: Fritz-Hahne-Straße 31, 31848 Bad Münder am Deister-Eimbeckhausen
BAUZEIT: 1990–1992
MITWIRKENDE: Architektur: Thomas Herzog (Herzog + Partner); Projektleitung: Bernd Steigerwald; Ausführung: Holger Gestering, Haag, von Ohlen, Rüffer und Partner; Tragwerksplanung: Sailer + Stepan; Landschaftsarchitektur: Latz + Partner (Anneliese und Peter Latz)
PREIS: 1994 Balthasar-Neumann-Preis
Die Architektur der 1990er Jahre lebte von großen Namen und Bildern. Davon machten nicht nur Banken Gebrauch, wenn sie die Frankfurter Skyline mit ihren Markenzeichen versahen. Auch mittelständische Unternehmen auf dem Land wie der Pharmakonzern Braun Melsungen legten ihre Firmenphilosophie in die Hände von Stararchitekten wie James Stirling und Co. Im niedersächsischen Bad Münder am Deister, und hier noch einmal an den Rand des nordwestlichen Stadtteils Eimbeckhausen gerückt, machte der Möbelhersteller Wilkhahn um 1990 gleich durch zwei renommierte Architekten auf sich aufmerksam: Frei Otto, der bereits berühmt war für seine zeltartigen Dachkonstruktionen, und Thomas Herzog, der sich just mit diesem Projekt überregional eine Name machen sollte.
Bad Münder, Wilkhahn-Gelände, rechts unten die zeltartigen Fertigungspavillons von Frei Otto, links unten die langgestreckten Produktionshallen und die kubische Energiezentrale von Thomas Herzog (Foto: Wilkhahn, 2004)
Eine Frage der Philosophie
Die Wertschätzung für eine besondere Baukultur liegt in Bad Münder in der Unternehmensphilosophie begründet: Angefangen hatte alles 1907 mit der Stuhlfabrik von Friedrich Hahne und Christian Wilkening, die zusammen den Markennamen Wilk-Hahn bildeten. Nach dem Zweiten Weltkrieg positionierte sich der Möbelhersteller im Geist von Bauhaus und Werkbund neu. In Projekten mit der Hochschule für Gestaltung Ulm fand man zu einem klaren modernen Design, das vor allem bei der Ausstattung von Büros regen Anklang fand. Nachdem man die Mitarbeiter:innen in den 1970er Jahren am Unternehmen beteiligt hatte, lenkten die 1980er Jahre den Blick auf den Umweltschutz. 1989 legte der Verwaltungsrat schließlich soziale und ökologische Kriterien in einem Grundsatzpapier fest.
In diesem Sinne hatte Wilkhahn seine Bauten der Gründungszeit bereits in den 1950er und 1960er Jahren durch bauhausinspirierte Gestalter wie Herbert Hirche und Georg Leowald ergänzen lassen. Als der Betrieb in den 1980er Jahren prosperierte, wurde die Anlage von 1986 bis 1988 um vier Fertigungspavillons erweitert. Zum Planungsteam gehörte – neben Christine Otto-Kanstinger, Jürgen Bradatsch oder S. Greiner – auch Frei Otto. Auf jeweils quadratischem Grundriss wurden Holzkonstruktionen aufgerichtet und mit Zeltdächern überspannt. Deren gläserne Fugen sorgten nach außen für einen großen Naturbezug, nach innen für ausreichend Tageslicht und eine angenehmen Arbeitsatmosphäre.
Bad Münder am Deister-Eimbeckhausen, Wilkhahn-Gelände, Produktionshallen, unten: Ansicht von Westen, oben: Planungsidee der sich an den Händen haltenden Menschen (Foto: Planzeichnung)
Hand in Hand
Fritz Hahne, Sohn eines der Firmengründer, hatte 1982 den Vorsitz des Wilkhahn-Verwaltungsrats übernommen. Für ihn sollten die Neubauten der späten 1980er und frühen 1990er Jahre vier Kriterien erfüllen: Ökonomie, Ökologie, Humanität und Ästhetik. Nach Frei Otto wollte er nun mit einem zweiten großen Architektennamen auftrumpfen. Doch als Günter Behnisch ihm einen Korb gab, schickte Hahne stattdessen zwei Büros – Thomas Herzog und Uwe Kiessler – gegeneinander ins Rennen. Am Ende fiel die Entscheidung für Herzog, der durch seine Verbindung aus ökologischem Anspruch und Experimentierfreude überzeugen konnte. Oder, um es mit seinen Worten zu sagen: „High Tec [sic] aus Holz“.
Ende der 1980er Jahre durchlief die Entwurfsphase zahlreiche Sitzungen, funktionale Änderungen, bürokratische Abstimmungen und erneute Anpassungen. Zudem erwiesen sich Experimente mit den ursprünglich angedachten Reflektoren, die Licht ins Innere der Hallen lenken konnten, als erfolglos. Die Erdarbeiten starteten im Oktober 1990, die Bauten konnten zwischen Juli und November 1992 stufenweise in die Nutzung übernommen werden. Rückblickend zeigte Herzog gerne eine Zeichnung, die seine Grundidee visualisiere: Vier Arbeiter halten einander an den Händen, so wie vier höhere hölzerne „Böcke“ die drei dazwischenliegenden Produktionshallen stützen. Neben diesem eindrücklichen Bild für das soziale Miteinander bei der Möbelfertigung lassen sich ebenso Parallelen zum traditionellen Fachwerkbau mit seinen menschenähnlichen „Mannfiguren“ ziehen. Und eine gewisse Nähe zu den gerasterten Fassaden von frühmodernen backsteinroten Industriearchitekturen ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen.
Bad Münder, Produktionshallen, links: Blick ins Innere; rechts: Energiezentrale von Westen (Bilder: Wilkhahn, 2009/10)
Teil der Landschaft
Thomas Herzog (*1941) stand um 1990 noch am Anfang seiner Karriere. Nach dem Architekturstudium in München hatte er sich 1971 selbständig gemacht. Neben Auftragsarbeiten forschte und lehrte er (nacheinander) an den Hochschulen von Stuttgart, Kassel und Darmstadt. Diese experimentelle Neugier bestimmte auch seine Entwürfe für die Wilkhahn-Produktionshallen. Für die geforderten rund 8.000 Quadratmeter Nutzfläche kam der Baustoff Holz für das Tragwerk und Teile der Fassaden zum Einsatz. Fast ornamental sind die stählernen Verspannungen, die das Bauwerk zusammenhalten, nach außen sichtbar. Nach Süden wenden sich Solarmodule, ein begrüntes Dach sollte im Sommer für Abkühlung sorgen, das Regenwasser länger binden und den Schall dämpfen. Sieht man von den transparent verglasten „Böcken“ ab, sind die Längsseiten der Hallen mit opaken Paneelen verkleidet, die das Licht gleichmäßig verteilen sollen, ohne zu blenden. Nur auf der Büroebene ist ein waagrechter Fensterstreifen durchsichtig gehalten, um den Blick in die Umgebung freizugeben.
In der horizontalen Fassadengliederung, dem Einsatz von Solarmodulen und dem deutlichen topografischen Bezug ähneln die Bauten in Bad Münder einem zeitgleichen Herzog-Projekt, dem 1991 fertiggestellten Gästehaus der Jugendbildungsstätte Windberg. In Bad Münder wurden nicht alle Ideen, die Herzog für das Areal entwickelt hatte, verwirklicht, da sich die Firmenumsätze nicht ganz so positiv entwickelten, wie noch in den 1980er Jahren erwartet. Das sog. Prisma – ein Nurdachbau im Herzen der Anlage – wurde eingespart, auch der Umbau der Räume aus dem frühen 20. Jahrhundert zum Firmenmuseum blieb aus. Ebenso erging es den Landschaftsplaner:innen Anneliese und Peter Latz, die ursprünglich mehr Bäume pflanzen und den vorhandene Bach umleiten wollten.
Bad Münder, Wilkhahn-Gelände, Produktionshalle, Grundriss (Bild: Grundriss)
Veränderungen
Nicht alle technischen Neuerungen an den Produktionshallen haben sich im Gebrauch bewährt. Manche Zonen heizten sich zu stark auf, andere speicherten die Wärme nicht ausreichend und die zunächst automatisch gesteuerte Beleuchtung musste auf manuellen Betrieb umgestellt werden. Den stärksten Eingriff stellte nach Feuchteschäden 2001 die Sanierung der Fassaden dar, die mit rot lasierten Sperrholzplatten verkleidet werden mussten. Kurz darauf stellte man fest, dass die Bepflanzung die Dachflächen schädigte und daher entfernt wurde. Doch weiterhin werden die von Thomas Herzog an die Kante des Wilkhahn-Areals gesetzten Produktionshallen sorgsam gepflegt – als gebautes Bild für ein sozial und ökologisch orientiertes Designunternehmen funktionieren sie bis heute bestens.
Text: Karin Berkemann, Oktober 2023
Bad Münder, Wilkhahn-Gelände, Energiezentrale (Bild: Wilkhahn, 2008)
Bad Münder, Wilkhahn-Gelände, Produktionshallen, Blick von Südosten (Bild: Wilkhahn)
Produktionshallen in Bad Münder. Production Halls in Bad Münder, in: detail 1993, 6, S. 700–704.
Dawson, Layla, Wilkhahn Factory in Bad Münder, Germany by Thomas Herzog, in: Architectural Review, 15. Januar 1995.
Flagge, Ingeborg u. a. (Hg.), Thomas Herzog Architektur + Technologie, München u. a. 2001.
Herzog, Thomas u. a., Fassaden Atlas (Detail Atlas), Berlin 2004, S. 296.
Kähler, Gert, Architektur in Niedersachsen 1970–1995, hg. Architektenkammer Niedersachsen 2005.
Müller, Reinhard A., Die Wilkhahn-Bauten in Bad Münder. Fabrikarchitektur eines Möbelproduzenten im 20. Jahrhundert, Dissertation, Universität Hannover, 2023.
Online-Auftritt der Firma Wilkhahn.
Online-Auftritt des Büros Thomas Herzog Architekten.
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