Leinefelde, St. Bonifatius, Hauptportal mit Labyrinthmotiv, gerahmt von einer Betonglasgestaltung in den Regenbogenfarben (Bild: Rolf Paul Fütterer, via fotocommunity)
BAU: römisch-katholische Kirche St. Bonifatius
ADRESSE: Bonifatiusweg 2, 37327 Leinefelde-Worbis
BAUZEIT: 1988–1993
MITWIRKENDE: Wolfgang Lukassek (Bischöfliches Bauamt Erfurt) (Architektur); Christof Grüger (Glasgestaltung, Malereien)
Die Zeit des Versteckens war vorbei, zumindest zeigt sich die 1993 geweihte Kirche St. Bonifatius heute im thüringischen Leinefelde höchst selbstbewusst. Schon die Pflasterung des Vorplatzes markiert den halböffentlichen Ort als etwas Besonderes: Rote Wellen, die sich deutlich vom hellgrauen Bodenbelag abheben, verbinden das Pfarr- und Gemeindehaus im Nordosten mit der Kirche im Südwesten, um schließlich deren Haupteingang zu umkreisen. Darüber verweist ein goldfarbenes Kreuz an der hochgezogenen Dachspitze stolz auf den Widmungszweck des liturgischen Raums, der von farbenfrohen Mosaiken, Wandbildern und Glasgestaltungen durchzogen wird.
Leinefelde, St. Bonifatius, Hauptportal der Kirche nach Westen, zur Heinstraße (Bild: Andreas Vogel, CC BY SA 3.0, 2009)
Zwischen den Zeiten
Zwischen den vorbereitenden Arbeiten, die 1985 aufgenommen wurden, dem Baustart zur Kirche 1988 und deren Weihe 1993 lagen nicht nur acht Jahre, sondern auch der Mauerfall und die Wiedervereinigung. Möglich wurden solche Projekte in Stadterweiterungsgebieten der späten Ostmoderne durch das sogenannte Sonderbauprogramm. Gegen Westgeld, mit Unterstützung der jeweiligen konfessionellen Partner:innen in der BRD, ließ die DDR-Regierung eine begrenzte Anzahl kirchlicher Bauten zu – vom Altenheim über Kranken- und Pfarrhäuser bis zu Kirchen und Gemeindezentren.
Auch Leinefelde erhielt in den 1980er Jahren einen neuen Stadtteil. An deren äußersten Rand gerückt, fügten sich das Pfarr- und Gemeindehaus sowie die Kirche in einzelnen Bauabschnitten zum Ensemble. Von Wohnriegeln umgeben, von denen einige inzwischen wieder niedergelegt worden sind, prägte St. Bonifatius seinen eigenen Raum aus, der sich dennoch zur Straße hin zum Platz öffnet. Hier bildet die Kirche auf rautenförmigem Grundriss, dem nach Osten der Altarraum als Rechteck angefügt ist, in Höhe und Detailreichtum den unbestrittenen Höhepunkt.
Leinefelde, St. Bonifatius, Fensterbahnen (links) mit Betonglasgestaltung mit Motiven der Schöpfung sowie Rosette (rechts) über dem Altar zum Thema Himmlisches Jerusalem (Bild: christof-grueger.de)
Aufgemauert
Für den architektonischen Entwurf von St. Bonifatius zeichnete Wolfgang Lukassek (* 1939) verantwortlich. Seine Berufslaufbahn startete er Ende der 1950er Jahre in Erfurt und blieb dieser Stadt treu. Nach einer Maurerlehre absolvierte er ein Studium an der dortigen Ingenieurschule. Ab 1962 war er in den Domwerkstätten tätig, gehörte dann zur ersten Generation des entstehenden kirchlichen Baubüros im Bistum, das sich mit der deutschen Wiedervereinigung zum bischöflichen Bauamt mausern konnte. Dieses leitete Lukassek bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2004.
Neben der fachlichen Begleitung zahlreicher Neu- und Umbaumaßnahmen im Bistum setzte Lukassek drei kirchliche Zentren nach eigenem Entwurf um: 1979 konnte St. Bonifatius in Schlotheim geweiht werden, die sich nach außen noch als Gemeindezentrum zurücknimmt. 1983 folgte die zentralisierende Zeltkirche St. Josef in Ilmenau, deren in die Höhe gezogene Dachspitze 1993 mit St. Bonifatius in Leinefelde noch gesteigert wurde – nun gipfelt der Altarraum gen Osten in einer repräsentativen Chorwand mit markanter Fensterrose.
Leinefelde, St. Bonifatius, Blick von Osten, vom Bonifatiusplatz auf Kirche und Gemeindehaus (Bild: Knorx, via mapio.net)
Ein Rundum-Bildprogramm
Für die Ausgestaltung der Kirche arbeitete der Architekt ab 1989 eng mit dem Künstler Christof Grüger (1926–2014) zusammen – erst 2009 vollendete dieser sein letztes Werk für St. Bonifatius. Am augenfälligsten sind bis heute die stilisierten Glasgestaltungen, die einem ausgefeilten Bildprogramm folgen: vom Urschlamm der Schöpfung in den Fensterschlitzen nach Südosten bis zum Himmlischen Jerusalem im Osten über dem Altar. Hier sind die zwölf Stadttore in der Rosettenform um das apokalyptische Lamm angeordnet.
Grüger krönte seine Ausgestaltung 2009 durch die Installation „Gläsernes Kreuz“ über dem Altar. Und wer die Kirche verlässt, kann einen letzten Blick auf das markante Hauptportal werfen. Die Türflügel tragen im Halbrelief ein Labyrinth (vom Bildhauer Werner Nickel), das von Betonglas in Regenbogenfarben gerahmt wird. Nach außen setzt sich dieses Motiv in Engelsfiguren fort, die sich im Mosaik über der Türöffnung versammeln. Ergänzt wird die Ausstattung seit 1993 durch eine Orgel, die 1985 eigentlich für die Dresdener Semperoper konstruiert worden war und für Leinefelde ein neues Gehäuse erhielt.
Leinefelde, St. Bonifatius, Glasrosette (links) und Glasgestaltung unter der Empore mit Motiven des Kreuzwegs (Bild: christof-grueger.de)
Sandstrahl und Schwarzlot
Schon an der Glasgestaltung lässt sich ablesen, dass die Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung neue Freiräume brachten. Grüger konnte nun das Betonglas um weitere Techniken ergänzen – ob Bleisteg, Schwarzlot, Sandstrahloberfläche oder Acrylglasstreifen. Bis heute werden die meisten Kirchen des Sonderbauprogramms, so auch in Leinefelde, von den Gemeinden sehr geschätzt. In der baukünstlerischen Qualität und überlieferten künstlerischen Geschlossenheit hat sich St. Bonifatius als bleibender kultureller Wert erwiesen und wurde folgerichtig unter Denkmalschutz gestellt.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald, Mai 2023
Leinefelde, St. Bonifatius, Blick von Westen auf den Kirchplatz mit dem Hauptportal der Kirche (Bild: Manni5, CC BY SA 4.0, 2021)
Leinefelde, St. Bonifatius, Außenbau von Südosten (links) und Orgelempore (Bilder: links: Marco Hess, via mapio.net; rechts: Mlang, CC BY NC SA 4.0, via organindex.de, 2020)
Leinefelde, St. Bonifatius, Altarraum (links) mit Kruzifix und Betonglasgestaltung sowie Hauptportal (rechts) mit einer Betonglasrahmung emaillierten Türen zum Thema Regenbogen, überfangen von Engelsgestalten im Supraporten-Mosaik (Bild: christof-grueger.de)
Lukassek, Wolfgang, Katholischer Kirchenbau in Ostdeutschland 1945 bis 1992, in: das münster 49, 1996, S. 186-193.
Weidemann, Peter, Von einem, der auszog das Bauen zu lernen. Der Leiter des Bischöflichen Bauamtes, Wolfgang Lukassek, feiert 40-jähriges Dienstjubiläum, in: Tag des Herrn, 7. November 2002.
Schädler, Verena, Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR, Regensburg 2013.
Bose, Christine, „Gott hat uns geholfen“. Erinnerungen an den Bau der St. Bonifatiuskirche in Leinefelde, in: Tag des Herrn, 2. November 2018.
Eintrag zur Orgel der Bonifatiuskirche in Leinefelde auf organidex.
Online-Präsenz der Katholischen Pfarrei Sankt Maria Magdalena, Leinefelde.
Online-Präsenz des Künstlers Christof Grüger.
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