BAU: St. Marien (Kirche Maria – Hilfe der Christen)
ADRESSEN: Kurzer Kamp 2, 25451 Quickborn
BAUZEIT: 1998–2000
MITWIRKENDE: Grundmann + Hein (Friedhelm Grundmann, Mathias Hein) mit Bernhard Breuninger; Johannes Schreiter (Glasgestaltung der Taufkapelle und des Altarraums); Andreas Boldt (Prinzipalstücke)
„Mir ist die Postmoderne zuerst als ganz witziges apercu erschienen“ – als der Hamburger Architekt Friedhelm Grundmann (1925–12015) dieses Zitat 1998 prägte, hatte er schon wieder mehr Distanz zwischen sich und das historisierende Formenspiel gebracht. Stattdessen sah er sich nun bei Sanierungsprojekten oft mit den Frühwerken seiner Kolleg:innen konfrontiert. Und obwohl er in seiner Berufslaufbahn über 20 Kirchen verwirklicht hatte, konnte er in Quickborn zum ersten und einzigen Mal einen römisch-katholische Gottesdienstraum gestalten. Dafür kombinierte er von 1998 bis 2000 das Beste aus eigenen Entwürfen der Nachkriegszeit, und entwickelte daraus (mit seinem Büropartner Mathias Hein) eine überzeugende zeitgenössische Geste.
Dieses (nicht umgesetzte) Modell von St. Marien zeigt bereits die Verschränkung von Quadrat und Dreieck (Bild: Hamburgisches Architekturarchiv, Nachlass Grundmann)
Grundmann vs. von Branca
Im Jahr 2000 ersetzte St. Marien einen Gottesdienstraum von 1953, der zu klein geworden war. Der Neubau sollte sich gut einfügen – zwischen einem Gemeindehaus (1984/85), einem Pfarrhaus (1995) und kleinteiligen Wohnstrukturen mit viel Grün. Vor diesem Hintergrund lobte die Gemeinde einen beschränkten Wettbewerb aus. Außer Konkurrenz beteiligte sich die Katholische Jugend Quickborn. Die Jury begutachtete außerdem Entwürfe des Büros Feldsien (das bereits für Pfarr- und Gemeindehaus verantwortlich zeichnete), des renommierten Berufskollegen Alexander von Branca und der „Architektenarbeitsgemeinschaft St. Marien Breuninger/Grundmann + Hein“.
Schon an der Fachhochschule Hamburg besuchte der Quickborner Architekten Bernhard Breuninger (* 1965) bei Grundmann Vorlesungen – und hatte ihn nun für den Wettbewerb vorgeschlagen. Der siegreiche Entwurf für St. Marien stammte von Grundmann + Hein, während Breuninger in der Bauleitung mitarbeitete. Friedhelm Grundmann erwähnte später gerne augenzwinkernd, gegen von Branca gewonnen zu haben.
Der Grundriss verschränkt Quadrat- und Dreiecksformen (Bild: Hamburgisches Architekturarchiv)
Gehobene Mathematik
Der Neubau von St. Marien zeigt eine vollendete Symmetrie, deren Spiegelachse gestalterisch markiert ist: Von einem Quellstein aus den gepflasterten Vorplatz durchlaufend, zieht sich ein Streifen durch die Turmverglasung und den Bodenbelag der Kirche, durch Taufe und Altar, um schließlich in das wandhohe Lichtband in der Altarnische hinter dem Kruzifix zu münden.
Doch eigentlich spielt der gesamte Bau mit der Geometrie: Der Grundriss des Hauptbaus entspricht etwa einer Raute, deren untere Spitze den Turm aufnimmt. Zwei einstöckige Seitenflügel auf dreieckiger Grundfläche, die Sakristei und die Werktagskapelle, sind im hinteren Teil angefügt. Der zum Altar ausgerichtete Raum beginnt eigentlich erst mit den gekrümmten Kirchenbänken, die den Gemeinschaftsgedanken verstärken. In der Altarwand öffnen sich drei schmale Fensterbänder, die der Künstler Johannes Schreiter entworfen hat. Ursprünglich sollte er auch die dreieckigen Seitenfenster gestalten, stattdessen entschied sich die Gemeinde hier für Klarglas.
Der Portalturm wendet sich dem Vorplatz zu (Bild: Gert von Basseweitz, um 2000)
Partnerwechsel
1990 feierte Friedhelm Grundmann seinen 65. Geburtstag – eigentlich hätte jetzt der Ruhestand beginnen können. Doch 1991 verstarb überraschend sein Büropartner Otto E. Rehder, so übernahm 1992 der langjährige Mitarbeiter Mathias Hein (* 1961) als Sozius. Damit gerieten die 1990er Jahre für Grundmann zu einer Phase der Rückbesinnung und des Neustarts zugleich.
Wiederholt renovierte Grundmann nun eigene Bauten, die noch aus der Büropartnerschaft mit Horst Sandtmann (1956–1963) stammten. Und so eigenständig zeitgenössisch der Neubau in Quickborn geraten ist, so deutlich finden sich hier zugleich viele Details aus Grundmanns 1960er-Jahre-Kirchen: das bugartige Schiff von St. Petri in Geesthacht, die prismenförmige Raumzone hinter dem Altar von „Zum guten Hirten“ in Hamburg-Langenfelde oder die Betonrahmung der Glocken an der Nathan-Söderblom-Kirche in Reinbek. Eine ähnliche Balance bildeten Grundmann + Hein fast zeitgleich bei ihrem Neubau der evangelisch-lutherischen Emmauskirche in Visbek aus.
In die neue Werktagskapelle wurden die Glasgestaltung und die Marienfigur aus dem Vorgängerbau einbezogen (Bild: Gregor Zoyzoyla, 2022)
Zu guter Letzt
Über fünf Jahrzehnte hinweg vereinte Grundmann in seinem Schaffen zwei scheinbar widersprüchliche Gattungen: Kirchen- und U-Bahn-Bauten. In seiner letzten Werkphase neigte er weder zur kompromisslosen Überformung des Bestands, noch geriet er in die Falle des Selbstplagiats. Bei Bahnhöfen und Brücken perfektionierte er die denkmalgerechte Sanierung. Und als der bundesdeutsche Kirchenbau um 2000 noch einmal Schwung aufnahm, konnte er – gemeinsam mit Mathias Hein – gleich zwei neue Gottesdiensträume gestalten. Auch wenn Grundmann 2010 offiziell aus dem Büro ausschied, er begleitete alle von ihm begonnen Projekte bis zum Abschluss.
Text: Daniel Bartetzko und Karin Berkemann, Frankfurt am Main, September 2022
Bartetzko, Daniel/Berkemann, Karin/Schmitz, Frank (Hg.) Turm und Tunnel. Friedhelm Grundmann baut für Kirche und U-Bahn (Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs), Hamburg 2022.
Hipp, Hermann/Gawlyta, Cordula (Bearb.): Der Architekt Friedhelm Grundmann. Projekte seit 1956. Ausstellung des Fachbereichs Architektur. 23. März bis 3. April 1998. Fachhochschule Hamburg, Ausstellungskatalog, Hamburg o. J. [1998], S. 9–18 [vervielfältigtes Typoskript].
Archivalien des Hamburgischen Architekturarchivs, Nachlass Grundmann, und der Katholischen Pfarrei Heiliger Martin, St. Marien, Quickborn, Pfarrarchiv.
Onlinepräsenz des Pfarrgemeinde.
Onlinepräsenz des Architekturbüros Mathias Hein (Nachfolgebüro von Grundmann + Hein).
Titelmotiv: Gert von Basswitz, um 2000. Zu Bildrechten nach Creative Commons informieren Sie sich bitte online über die entsprechenden Bestimmungen.