Duisburg, Jüdisches Gemeindezentrum, Parkseite, in der Mitte der schwarz gefasste Synagogenbau (Bild: © Zvi Hecker Architect, Foto: Michael Krüger)
BAUTEN: 1) Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal; 2) Jüdisches Gemeindezentrum Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen
ADRESSEN: 1) Genügsamkeitstraße, 42105 Wuppertal; 2) Springwall 16, 47051 Duisburg
BAUZEITEN: 1) 1993–1994; 2) 1997–1999
ARCHITEKTEN: 1) Busmann + Haberer (Peter Busmann, Godfrid Haberer), Zbyszek Oksiuta, Volker Püschel; 2) Zvi Hecker
PREISE: 1) 1994, Vorbildliches Bauwerk im Lande Nordrhein-Westfalen; 1995, Architekturpreis Beton
Als die politischen Systeme im östlichen Europa um 1989 zusammenbrachen, kam es zu einer starken Einwanderung jüdischer Bevölkerung nach Deutschland. Die mit der Shoa weitgehend vernichteten, dann nur zögernd neu errichteten Gemeinden wuchsen erheblich an. Bald reichten ihre Räume nicht mehr aus und der Bau von Synagogen geriet im vereinten Deutschland (wieder) zu einer bedeutenden Aufgabe. So entstanden in den 1990er Jahren einige städtebaulich herausgehobene Wegmarken: etwa in Heidelberg, Aachen, Kassel – und Duisburg. In der BRD und in der DDR suchte man aber ebenso, einstige Synagogen(standorte) wieder kenntlich zu machen. Nach der Reichspogromnacht von 1938 waren Brachflächen, verfallene oder bis zur Unkenntlichkeit umgenutzte Bauten zurückgeblieben. Diese stummen Zeugen der Vergangenheit erhielten nach 1945 oft bestenfalls eine Gedenktafel. Nun wurden solche Plätze und Bauten jedoch neu markiert, revitalisiert, teils um Mahn- und Begegnungsstätten ergänzt – so auch in Wuppertal.
Wuppertal, Begegnungsstätte Alte Synagoge, 19. März 1996 (Bild: Amtliche Geodaten der Stadt Wuppertal, © Ressort Vermessung, Katasteramt und Geodaten (RV-102-200))
Die Hintergründe
Sowohl in Barmen als auch in Elberfeld, die ab 1929 zur Großstadt Wuppertal fusioniert wurden, stand je eine Synagoge. Beide Bauten stammten aus dem 19. Jahrhundert, beide wurden im November 1938 zerstört. Nach dem Krieg scharte sich eine kleine Gemeinde bescheiden in einem früheren jüdischen Altersheim. Das Trümmergrundstück der Elberfelder Synagoge (1865) verkam zu einem Parkplatz, auf dem ab 1962 eine Gedenktafel auf die einstige Bedeutung verwies. Als die Stadt hier ein Parkhaus errichten wollte, bildete sich eine Gegeninitiative – am Ende stand 1994 der Bau der „Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal“. Sie erinnert an die Vergangenheit des Standorts, an das einstige wie gegenwärtige jüdische Leben in der Region. Aus der damaligen Kommission heraus gründete sich ein Trägerverein mit über 20 gesellschaftlichen Institutionen und Vereinen. Jenseits dessen errichtete die stark angewachsene jüdische Kultusgemeinde im Raum Wuppertal bis 2002 einen Neubau: die Bergische Synagoge in Barmen, entworfen von den Architekten Goedeking + Schmidt.
Auch die jüdische Gemeinde in Duisburg (zu der ebenso Oberhausen und Mülheim/Ruhr gehören) wuchs in den 1990er Jahren stark an. Da nur behelfsmäßige Räume in Mülheim zur Verfügung standen, wurde der Neubau eines größeren Gemeindezentrums notwendig. Als Standort wählte man den seinerzeit revitalisierten Innenhafen Duisburg. Im Zuge der Internationalen Bauausstellung Emscherpark entwickelte der Architekt Norman Foster damals das Sanierungsgebiet zu einem modernen Dienstleistungs- und Wohnquartier. Das jüdische Leben lässt sich in Duisburg indes bis ins Mittelalter zurückverfolgen. In seiner Geschichte war es mehrfach Pogrom und Zuzugsverbot ausgesetzt. Fünf Standorte sind bekannt, erst ab dem 19. Jahrhundert entstanden eigene Synagogen. Die letzte unter ihnen datierte auf 1875, wurde 1938 niedergebrannt – und befand sich in unmittelbarer Nähe des heutigen, 1999 fertiggestellten Gemeindezentrums.
links: Wuppertal, Begegnungsstätte Alte Synagoge, das kubische Haupthaus auf der oberen Ebene (Bild: Im Fokus, CC BY SA 4.0, 2021); rechts: Duisburg, Jüdisches Gemeindezentrum, der Haupteingang, im Übergang die Hausmeisterwohnung (Bild: © Zvi Hecker Architect, Foto: Michael Krüger)
Die Architekten
Die Pläne für das Duisburger Zentrum entwickelte der israelische Architekt Zvi Hecker (mit Büros in Tel Aviv und Berlin), wofür er sich in einem beschränkten Wettbewerb durchsetzen konnte. 1931 in Krakau geboren, überstand er die Shoa in der Sowjetunion und übersiedelte 1950 nach Israel. Er übernahm Lehraufträge in Kanada, in den USA und in Österreich, arbeitete mit seinem Lehrer Alfred Neumann, mit Eldar Sharon und mit seiner deutschen Kontaktarchitektin Inken Baller zusammen. Seine Vorliebe gilt geometrisch kontrollierten, durchaus symbolisch aufgeladenen Strukturen und Figuren. Lange beschäftigte ihn die Spirale, besonders die Grundform der Sonnenblume. Nach seinen Plänen entstanden weltweit Verwaltungs-, Bildungs-, Kultur-, Versorgungs- und Wohnbauten sowie Synagogen. Darüber hinaus war er stadtplanerisch tätig. Für Berlin sind die Heinz-Galinski-Schule (1995) und ein Erinnerungsmal für die Synagoge an der Lindenstraße (1997) zu nennen.
Auch dem Bau der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal ging ein beschränkter Wettbewerb (1988) voraus – diesen gewann eine Gemeinschaft aus dem Kölner Büro Busmann & Haberer, dem polnischen Künstler und Architekten Zbyszek Oksiuta sowie dem Landschaftsarchitekten Volker Püschel. Peter Busmann (* 1931) und Godfrid Haberer (* 1941), die sich bereits 1972 zusammengetan hatten, firmieren heute mit Büros in Köln (BHBFH) und Berlin (BHBVT). Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt im öffentlichen Bauen, vor allem in Forschung und Lehre, Kultur, Verwaltung, Verkehr und Wohnen. Sie machten sich ab den 1980er Jahren einen Namen mit Kölner Projekten wie dem Museum Ludwig und der Philharmonie (1986) oder den Vorhallen des Hauptbahnhofs (1990). Oksiuta (* 1951) lebt und arbeitet in Köln, er ist bekannt durch Ausstellungen und Projekte im städtischen Raum.
links: Duisburg, Jüdisches Gemeindezentrum, die rückwärtigen Gemeinderäume (Bild: © Zvi Hecker Architect, Foto: Michael Krüger); rechts: Wuppertal, Begegnungsstätte Alte Synagoge, Bauarbeiten, 14. Januar 1993 (Bild: BHBVT Gesellschaft von Architekten mbH))
Die Gestaltung
Dem Jüdischen Gemeindezentrum in Duisburg liegt die Form eines aufgefächerten Buchs zugrunde. Manche erinnert der Grundriss an einen Stern (oder an einen Teil von ihm) oder an die gespreizten Finger einer Hand. Vielleicht scheint hier auch eine Silhouette von Portalkränen auf, die an die industrielle Vergangenheit des Standorts anknüpft. In jedem Fall ging der Entwurf von einer geometrischen Form aus: von einer Folge konzentrischer Kreise, die von Radien in alternierenden Abständen durchschnitten wird. Ihr Ursprung jedoch liegt nicht im Gemeindezentrum, sondern in der angrenzenden Bestandsbebauung.
Mit seiner plastischen offenen Gestalt hat das Duisburger Gemeindezentrum keine eigentliche Hauptfassade, sondern überrascht durch vielfältige Ein- und Durchblicke. Gen Osten schreitet man aus den profanen Bereichen hin zum Synagogenteil. Die Materialien sind karg, beschränken sich wesentlich auf Sichtbeton, weißen Putz und Holzrahmen. Im Inneren tritt rötlicher Jerusalem-Stein hinzu. Die mit der Stirnwand nach Osten weisende Synagoge bildet ein Dreiecksprisma: Außen schwarz gefasst, wurde der Innenraum teils mit Stein, teils mit hellem Holz verkleidet. Die als Doppelscheiben ausgebildeten Stahlbetonarme greifen kräftig in den Altstadtpark aus, der zeitgleich vom israelischen Künstler Dani Karavan als „Garten der Erinnerung“ angelegt wurde.
In Wuppertal (in durchaus innerstädtischer Lage) entstand auf dem Grund der zerstörten Elberfelder Synagoge 1994 ein Erinnerungsort. Als das gen Südosten abfallende Gelände neu gestaltet wurde, stellte man den Verlauf der einstigen Krugmannsgasse wieder her. Wo das Areal in einem Sprung zur höheren Ebene der Begegnungsstätte übergeht, wurde die nachempfundene Fassade eines historistischen Mietshauses eingearbeitet. Darin führt eine Tür zum Souterrain mit Foyer, Kasse, Garderobe und Veranstaltungsbereich. Eine Sichtbetontreppe leitet über zur oberen Etage, die aus drei Elementen besteht: aus dem Sichtbetonquader mit „Satteldach“ und Funktionsräumen, aus der mit Bleiplatten verkleideten Rotunde mit dem Haupteingang und aus dem kubischen Haupthaus.
Granitplatten bezeichnen im Wuppertaler Außengelände den Grundriss der einstigen Synagoge. Darunter befinden sich noch Reste von Fundamenten, nur die Ruinen der nördlichen Kellermauer wurden freigelegt. An diese schließt ein (nicht betretbarer) Garten an – mit zehn schräg gepflanzten Apfelbäumen und einem künstlichen Wasserlauf. Das Haupthaus steht verkantet auf der Süd-Ost-Ecke des Synagogen-Grundrisses. Seine weiß verputzte Rückwand erhellt einen Platz, der durch geometrische Formen, schwere Materialien und eine schwarz-weiß-graue Farbgebung geprägt wird. Hier laden ein Baum und ein Granitblock zum Verweilen ein. Im lichtdurchfluteten Haupthaus lenkt eine Wandöffnung den Blick zum Wasserlauf im Obstgarten. Ein breites gewölbtes Oberlicht durchschneidet, exakt an den Kanten des alten Synagogen-Grundrisses orientiert, die Flachdecke.
links: Wuppertal, Begegnungsstätte Alte Synagoge (Bild: BHBVT Gesellschaft von Architekten mbH); rechts: Duisburg, Jüdisches Gemeindezentrum, Synagogenraum (Bild: © Zvi Hecker Architect, Foto: Michael Krüger)
Die Nutzungen
Das neue Zentrum der Jüdischen Gemeinde Duisburg (mit Mülheim/Ruhr und Oberhausen) wurde im Februar 1999 eingeweiht. Die Nutzungen teilen sich auf in die eigentliche Synagoge, einen Mehrzwecksaal, die Verwaltung, Tagungsräume, Appartements, eine koschere Küche sowie Räume für Kinder- und Jugendarbeit. Das gemeindliche Engagement in letzterem Bereich erstreckt sich auf alle drei Mitgliedsstädte, hierzu bestehen in Mülheim und Oberhausen weitere Räumlichkeiten.
Seit ihrer Eröffnung im April 1994 will die Begegnungsstätte in Wuppertal das Schicksal der jüdischen Mitbürger:innen erforschen und dokumentieren, insbesondere in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus. Darüber hinaus soll das Verständnis für die geschichtlichen Zusammenhänge gefördert werden. Hierzu gehören die Dauerausstellung „Tora und Textilien“, ein Seminarraum, ein Archiv, eine Bibliothek und eine Ausstellung über jüdische Identität heute. Die Begegnungsstätte arbeitet eng mit Schulen zusammen und ist ein Ort von Veranstaltungen wie Vorträgen und Lesungen.
Wuppertal, Begegnungsstätte Alte Synagoge, 19. August 2013 (Bild: Amtliche Geodaten der Stadt Wuppertal, © Ressort Vermessung, Katasteramt und Geodaten (RV-102-200))
Zwei Bauten, ein Thema
Die Aufgaben der beiden hier vorgestellten Bauten sind zweifellos völlig verschieden. Ihnen gemein ist jedoch das Grundthema Synagoge – und eine Architektur, welche die Geschichte der jeweiligen Gemeinde zeichenhaft nach außen trägt. Dies geschieht in Wuppertal durch gestalterische Reminiszenzen: Der ursprüngliche Grundriss wird aufgegriffen, aber völlig neu überbaut. In Duisburg wiederum verbindet sich der „Beton-Fächer“ mit dem Vorgängerbau und mit dem benachbarten „Garten der Erinnerung“. Karg und minimalistisch wie zeichenhaft, gar aufgeladen, beinhalten beide Architekturen – in Wuppertal ebenso wie in Duisburg – je für sich einen Spannungsbogen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (nicht nur) jüdischen Lebens.
Text: Matthias Ludwig, Würzburg/Schweinfurt, Februar 2023
Wuppertal, Begegnungsstätte Alte Synagoge, zwischen 1992 und 2013 (Bilder: Amtliche Geodaten der Stadt Wuppertal, © Ressort Vermessung, Katasteramt und Geodaten (RV-102-200); Michael Kramer, CC BY SA 3.0 oder GFDL, 2020); BHBVT Gesellschaft von Architekten mbH); zu den Details klicken Sie bitte auf die jeweilige Aufnahme)
Duisburg, Jüdisches Gemeindezentrum (alle Fotografien der Galerie: Bild: © Zvi Hecker Architect, Foto: Michael Krüger; alle Pläne der Galerie: © Zvi Hecker Architect)
Endlich, Stefanie, Architektur, Skulptur, Natur, in: Schrader, Ulrike/Hartung, Christine (Hg.), Tora und Textilien. Jüdisches Leben im Wuppertal. Die Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal und ihre Ausstellung, Wuppertal/Düsseldorf 2021, S. 14–25.
Heilmeyer, Florian, Was er baut, hat eine eigene Kraft. Zum 90. Geburtstag von Zvi Hecker, in: BauNetz, 31. Mai 2021.
Ludwig, Matthias (Bearb.), Synagogen: Zukunft aus der Vergangenheit (kunst und kirche 64, 4), Darmstadt 2001.
Pehnt, Wolfgang, Ein altes Buch mit neuen Seiten. Zvi Heckers Jüdisches Gemeindezentrum in Duisburg, in: kunst und kirche 64, 2001, S. 238–242.
Saldern, Ingrid von, Erlebte Geschichten mit Peter Busmann, in: WDR 5, Interview, 17. Juli 2005.
Online-Präsenz des Architekturbüros Zvi Hecker.
Online-Präsenz des Architekturbüros BHBVT (Busmann + Haberer).
Online-Präsenz der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal.
Online-Präsenz der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen.
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