BAU: U-Bahnhof Mümmelmannsberg
ADRESSE: Kandinskyallee/Havighorster Redder, 22115 Hamburg
BAUZEIT: 1987–1990
MITWIRKENDE: Timm Ohrt und Hille von Seggern (Architektur), Karin Palluch (Bildhauerei)
PREIS: Bauwerk des Jahres 1990 (Architekten- und Ingenieurverein Hamburg)
Gleich für vier Großwohnsiedlungen – Osdorfer Born, Steilshoop, Tegelsberg und Mümmelmannsberg – hatte die Stadt Hamburg in den 1970er Jahren große Versprechungen gemacht: Die U-Bahn sollte bis direkt vor die Haustür fahren. Doch nach Öl- und Wirtschaftskrise fiel der Anschluss an den Öffentlichen Nahverkehr eher mager aus. Nachdem die Neue Heimat 1970 den Grundstein für das neue Quartier Mümmelmannsberg gelegt hatte, sollte die U-Bahn noch zwei Jahrzehnte auf sich warten lassen. Wo der Havighorster Redder auf die Kandinskyallee trifft, bildet die Siedlung ihren Mittelpunkt aus. An diesem Drehkreuz organisieren sich die kommerziellen, kulturellen und öffentlichen Räume und Funktionen – von den Schulen über das evangelische Gemeindezentrum bis zum Heizwerk. Für dieses städtebauliche Zentrum mit Geschäfts- und Bürohäusern wurden nicht alle geplanten Einrichtungen umgesetzt, doch zumindest die U-Bahnstation Mümmelmannsberg kommt hier seit 1990 an die Oberfläche.
Hamburg, U-Bahnhof Mümmelmannsberg (Bild: Michael H., via flickr, 2021)
Hasenheimat
Die Großwohnsiedlung entstand zwischen 1970 und 19709/80 in drei Abschnitten. Ihr Name ist einer der gereimten Tiergeschichten des Heidedichters Hermann Löns aus den 1930er Jahren entlehnt. Und da es im künftigen Siedlungsgebiet mehr als genug Hasen gab, schienen sie zum Wappentier mehr als geeignet. Auch der U-Bahnhof trägt gleich mehrere Halbreliefs zu diesem Thema. Sie wurden in den 1980er Jahren von der Bildhauerin Karin Palluch (*1961) gestaltet, die bei Karl Heinz Ohrt (1902–1993) studiert hatte. Dessen Sohn wiederum zählte zu den Architekt:innen der U-Bahnstation.
Nach seiner Ausbildung in Hamburg und Düsseldorf machte sich der Architekt Timm Ohrt (*1935) in Hamburg selbständig, zunächst in einer Bürogemeinschaft mit Klaus Nickels, später mit der Architektin und Stadtplanerin Hille von Seggern (*1945) Sie hatte in Darmstadt studiert und promoviert und lehrte ab 1995 an der Universität Hamburg. Seit einigen Jahren konzentrieren sich beide auf gemeinsame Kunstprojekte. Ihre Arbeitsgemeinschaft wurde Mitte der 1980er Jahre mit der Planung der U-Bahnstation beauftragt. Dafür änderte man die ursprünglich geplante Streckenführung, die unter dem Straßenzug Mümmelmannsberg über Kirchsteinbek bis nach Billstedt verlaufen wäre. Stattdessen profilierten Ohrt und von Seggern ab 1987 die Kreuzung von Kandinskyallee und Havighorster Redder als Verkehrsinsel und versahen die Straßenlaternen im Geist der Postmoderne – Hermann Löns lässt grüßen – mit goldenen Hasenohren.
Hamburg, U-Bahnhof Mümmelmannsberg (Bild: Norbert Wegner, via flickr, 2011)
Spiegelkabinett
Seit 1981 führt die Bundesautobahn A1 durch das Quartier, die hier bis 1990 per Schildvortrieb durch einen Tunnel unterquert wurde, um die U-Bahnstation Mümmelmannsberg zu ermöglichen. Bei der unterirdischen Bahnhofsanlage handelt es sich um einen Mehrzweckbau, in dem bis zu 2.500 Personen Schutz u. a. vor Verstrahlung finden könnten. Ursprünglich wurde die Station von der U-Bahnlinie 3 angesteuert. Seit 2009 verkehrt hier stattdessen die U2, die in Niendorf Nord startet, Hamburg von Nordosten nach Südwesten erschließt und im Mümmelmannsberg ihre Endstation hat.
Die Fahrgäste gelangen über die Treppenanlage zunächst in das Zwischengeschoss, dessen Wände mit verspiegelten bzw. silbrig emaillierten Metallplatten verkleidet sind. Hier wird das Quadrateraster der oberirdischen Zugangsbauten fortgeführt. Auf dem Weg zum Zug eröffnet sich den Besucher:innen eine großzügige Freitreppe hinab zum Mittelbahnsteig. Der Stufenlauf wird von abgehängten, rot gefassten Lampensträngen begleitet. Auf der Bahnsteigebene herrschen Rosé- und helle Blautöne vor. In diese abstrakten Fliesenmuster, die an Art-Déco-Ornamente erinnert, sind Spiegel und spiegelnde Platten als Akzente eingearbeitet. Und immer wieder kauern an den Wänden gegenständliche Hasenfiguren auf einem in Dunkelblau abstrahierten Terrain.
Hamburg, U-Bahnhof Mümmelmannsberg (Bild: Torsten Schlüter, via flickr, 2021)
Mittelpunkte
Mit der U-Bahnstation Mümmelmannsberg birgt die Großwohnsiedlung ein unterirdisches Highlight der Postmoderne, das vom Architekten- und Ingenieurverein bereits 1990 als Bauwerk des Jahres ausgezeichnet wurde. Auf der Straßenebene zeigen sich beiden flachgedeckten, verglasten Zugangsbauten mehr wie eine Verneigung vor den großen Hochbahnzeiten der 1920er Jahre. Gerade durch die jüngsten Nachverdichtungen, darunter der Bau eines großen Supermarkts mit einem straßenabgewandten Hof an der Kreuzung Kandinskallee/Havighorster Redder, hat sich die einstige Mittelpunktfunktion der hier platzierten Bauen leider verunklärt. Dies hält aber die Postmodernist:innen in Hamburg nicht davon ab, mit der Kamera über- und unterirdisch auf visuelle Hasenjagd zu gehen.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt/Greifswald, Februar 2022
Literatur und Links
Grundmann, Friedhelm u. a. (Bearb.), Stationen Hamburger Architektur. Die Hochbahn setzt Zeichen. Seit 100 Jahren, Hamburg 2008.
Titelmotiv: Hamburg, U-Bahnhof Mümmelmannsberg (Bild: Norbert Wegner, via flickr, 2021). Für den Bildnachweis in der Galerie klicken Sie bitte auf das jeweilige Bild, die Galerie umfasst u. a. Bilder von NordNordWest (CC BY SA 3.0, 2011) sowie Flickr-Bilder von Torsten Schlüter, Patrick, Bernd Carstensen, Michael H., Norbert Wegner, Alexander Rentsch (CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2015) und Matthias Weinberger (CC BY NC ND 2.0, via flickr, 2022), zu Bildrechten nach Creative Commons informieren Sie sich bitte online über die entsprechenden Bestimmungen.