BAU: Verlagshaus Gruner + Jahr
ADRESSE: Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
BAUZEIT: 1987–1990
ARCHITEKT: Architektengemeinschaft Baumwall: Otto Steidle (Steidle + Partner) und Uwe Kiessler (Kiessler + Partner) mit Peter Schweger (Schweger + Partner, Ausführung)
PREIS: 1990 Bauwerk des Jahres (Architekten- und Ingenieurvereins Hamburg)
Zwischen zwei Wahrzeichen – der barocken Kirche St. Michaelis und der neuen Elbphilharmonie – liegt unweit des Hamburger Hafens das Verlagshaus Gruner + Jahr. Es entstand von 1987 bis 1990 nach Entwürfen von Steidle + Partner sowie Kiessler + Partner (mit Schweger + Partner für die Ausführung). Dabei handelt es sich um eines der jüngsten Denkmale der Hansestadt. Es ist nicht nur bei Hamburger:innen und Tourist:innen bekannt und beliebt, sondern wird auch in der internationalen Fachwelt geschätzt. 2020 ging das Verlagshaus nicht, wie ursprünglich geplant, an die Stadt, sondern wurde an den Immobilienentwickler Tishman Speyer verkauft. Der geplante Umzug von Gruner + Jahr wurde zunächst verschoben, sodass das Medienunternehmen vorerst als Mieter am Baumwall bleibt.
Hamburg, Verlagshaus Gruner + Jahr mit dem Turm von St. Michaelis (Bild: Soluvo, CC BY SA 4.0, 2013)
An die ‚Waterfront‘
Für die jüngste Entwicklung der Hansestadt war das Verlagshaus von immenser Bedeutung: Das 1965 von Richard Gruner, John Jahr und Gerd Bucerius gegründete Medienunternehmen beherrschte mit seinen Zeitschriften – von Brigitte bis Stern, von Geo bis Spiegel – über Jahrzehnte hinweg die Branche. Bis zum Umzug in den Neubau am Baumwall waren die Verlagsmitarbeiter:innen über mehrere Standorte an der Alster verteilt. In die frühen 1990er Jahre fiel auch eine inhaltliche Neupositionierung des Hamburger Unternehmens. Man weitete die Geschäfte in die neuen Bundesländer und in die digitalen Medien aus.
Die Entscheidung von Gruner + Jahr, seinen Sitz an die Elbe zu verlagern, bildete zugleich den Startschuss für die Umwandlung der Hafenrandlage zur hochbegehrten ‚Waterfront‘. Damit folgte Hamburg dem internationalen Trend, die zentrumsnahen Hafenareale und ihre Umgebung für neue Stadtfunktionen zu nutzen, wie es beispielsweise London mit der Entwicklung der Docklands in den 1970er Jahren vorgemacht hatte. Neue Transporttechnologien wie der Containerverkehr hatten ab den 1960er Jahren solche Umverteilungen erst möglich gemacht.
Hamburg, Verlagshaus Gruner + Jahr (Bild: DARIUSzpre, CC BY 3.0, 2010)
Das Büroschiff
Der Anspruch des Verlagshauses an seinen neuen Sitz war hoch, weshalb auch ein Wettbewerb ausgelobt wurde. Das Ergebnis spiegelt das Credo des Architekten Otto Steidle (1943–2004), einem der maßgeblichen Schöpfer des Gebäudes: „Nicht das Haus bestimmt die Stadt, sondern die Stadt bestimmt das Haus“. So wurde bei diesem Bürogebäude der Hafen mit seinen Schiffen, Werften, Kränen, Speichern und seinem alten Hochbahnviadukt zum gestalterischen Leitmotiv: Das ‚Büroschiff‘, das wie das Hochbahnviadukt auf schräg gestellten Stützen steht, ist in mehrere zeilenförmige Trakte aufgeteilt, die durch Querspangen verbunden sind. Grünflächen beziehungsweise Innenhöfe liegen dazwischen.
Mit seinen aufgestapelten Bürogeschossen samt Fluchtbalkonen werden Verbindungen zu Passagierdecks und Relings hergestellt und die runden Fenster erinnern an Bullaugen. In den horizontal gelegten Titanzinkbleche, welche die Fassade verblenden, kann man Schiffsplanken wiedererkennen. Die Entlüftungsrohre lassen an Schiffsschornsteine denken. Die einzelnen Trakte werden durch Stege verbunden, die an Schiffsbrücken erinnern und die gemeinsam mit Höfen und Treppen die Begegnungen zwischen den Verlagsmitarbeiter:innen und somit die firmeninterne Kommunikation befördern sollten. Ein Konzept, das man ebenso wie die hohe gestalterische Qualität auch im Inneren wiederfindet.
Hamburg, Verlagshaus Gruner + Jahr, Luftbild mit der Elbphilharmonie im Hintergrund (Bild: JoachimKohlerBremen, CC BY SA 4.0, 2019)
Postmoderne vom Feinsten
Diese spielerische und kunstfertige Verwendung von historischen Bauformen und Typen aus verschiedensten Epochen und die Wiederaufnahme von regionalen Formen, Materialien und eben auch das künstlerische Reflektieren des Standortes machen das ehemalige Verlagshaus Gruner + Jahr zu einem der gelungensten postmodernen Gebäude Deutschlands. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch junge Denkmale einen hohen Identifikationswert für unterschiedlichste Bevölkerungsschichten haben können und bereits unerlässliche Bestandteile der jeweiligen Denkmallandschaft sind.
Text: Dr. Biagia Bongiorno, Denkmalschutzamt Hamburg, November 2021
Galerie
Literatur und Links
Burghardt, Peter, Politikum in bester Lage. Gebäude Gruner+Jahr, auf: sueddeutsche.de, 20. August 2020.
Steidler, Otto/Kiessler, Uwe, Verlagshaus Gruner+Jahr Hamburg (Schriften zur Architektur der Gegenwart), München/Stuttgart 1991.
steidle architekten, München
kiessler architekten gmbh, München
Schweger Architekten, Hamburg
Das hier wiedergegebene Bauporträt ist in ähnlicher Weise bereits in der Zeitschrift Bevölkerungsschutz, (2020/4) erschienen.
Titelmotiv: JoachimKohlerBremen, CC BY SA 4.0, 2019. Für den Bildnachweis in der Galerie klicken Sie bitte auf das jeweilige Bild, zu Bildrechten nach Creative Commons informieren Sie sich bitte online über die entsprechenden Bestimmungen.