Herne-Sodingen, Akademie Mont-Cenis, Fotovaltaik-Module im vorkragenden Hallendach (Bild: Nils Apfelbaum, CC BY NC SA 2.0, via flickr, 2007)
BAU: Akademie Mont-Cenis
ADRESSE: Mont-Cenis-Platz 1, 44627 Herne Sodingen
BAUZEIT: 1997–1999
MITWIRKENDE: Jourda & Perraudin, (Françoise-Hélène Jourda, Gilles Perraudin) mit HHS Planer und Architekten (Manfred Hegger, Doris Hegger-Luhnen, Günter Schleif) (Architektur); Ove Arup GmbH und Schlaich Bergermann Partner (Jörg Schlaich, Andreas Keil) und HL Technik AG (Tragwerksplanung); Desvigne & Dalnoky, Herman Prigann sowie Latz, Riehl und Schulz (Landschaftsarchitektur)
In Herne-Sodingen ist die Sonne gleich mit eingebaut: Auf der gläsernen Halle der Akademie Mont-Cenis ruht eine locker gruppierte ‚Wolke‘ von rund 3.000 Fotovoltaik-Modulen, die nach innen ausreichend Schatten spendet und nach außen möglichst viel Sonnenstrahlung einfängt, um sie in Strom umzuwandeln. Zusätzlich wird das Regenwasser gesammelt und aufbereitet – und ein Bockheizkraftwerk nutzt das austretende Grubengas. Denn auf dem Areal stand rund 100 Jahre eine Kohlenzeche, bis diese 1978 geschlossen wurde. Mit dem modernen gläsernen Akademiegebäude gewann der Stadtteil 1999 nicht nur eine neue sozialen Mitte, sondern auch ein umweltfreundliches Kraftwerk.
Herne-Sodingen, Akademie Mont-Cenis im Oval der Pappelallee (Bild: Thomas Gallus, 2022, via flickr)
Eine neue Mitte
In der Ortschaft Sodingen, die seit 1928 zur Stadt Herne gehört, wurde bereits ab 1875 Kohle gefördert. Rund um die Förderanlage, die man nach dem 1871 eröffneten Tunnel durch das italienisch-französischen Gebirgsmassiv Mont Cenis (Moncenisio) benannt hatte, bildete sich langsam eine Siedlung. Die Sodinger Zeche wurde 1978 geschlossen, das Areal 1980 größtenteils beräumt und eingeebnet. Um für den Stadtteil eine neue Mitte auszubilden, wurde im Vorfeld der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park 1991 ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben: Entstehen sollten neue Räume für die Fortbildungsakademie des Bundeslands.
Das französische Büro Jourda & Perraudin konnte den Wettbewerb 1992 für sich entscheiden. Nachdem man 1993 eine Entwicklungsgesellschaft gegründet und 1994 Machbarkeitsstudien durchgeführt hatte, konnten die Bauarbeiten 1997 beginnen. Die Architekt:innen Françoise Hélène Jourda und Gilles Perraudin realisierten bis 1999 gemeinsam mit dem hessischen Büro HHS (Manfred Hegger, Doris Hegger-Luhnen, Günter Schleif) ihr Konzept aus zwei Elementen: eine gläserne Hülle sollte nach dem Haus-im-Haus-Prinzip gleich mehrere feste Einbauten überfangen. Parallel wurde das nähere Umfeld durch neue Wohnbauten und Gewerberäume belebt.
Herne-Sodingen, Akademie Mont-Cenis, Lüftungsschlitze sorgen für Frischluft und Kühlung (Bild: Nils Apfelbaum, CC BY NC SA 2.0, via flickr, 2007)
Glas trifft Fachwerk
Auf dem insgesamt 25 Hektar großen Areal erstreckt sich eine gläserne Halle auf einer Grundfläche von rund 180 x 70 Metern. Der 15 Meter hohe Raum wird von Holzfachwerkträgern gehalten, die auf mehr als 50 Stämmen ruhen. Bereits ein Jahr vor Beginn der Bauarbeiten wurden dafür 130 Jahre alte Fichten in einem rund 100 Kilometer entfernten Wald geschlagen. Die Köpfe und Füße der hölzernen Stützen erhalten ihre Stabilität durch gegossene Stahlelemente, hinzu kommen Verspannungen mit Edelstahlseilen. Unter der gläsernen Hülle, die von dieser Fachwerkkonstruktion getragen wird, konnten die eingestellten Häuser in leichter Bauweise errichtet werden – mit Stahlbetonskeletten und viel Holz.
Um die optimale Verteilung der Fotovoltaik-Module zu berechnen, kam Computertechnik zum Einsatz. Auf den Fassaden sind die Elemente teils plan eingebunden, auf der Dachfläche hingegen wurden sie jeweils leicht angewinkelt. Zudem spielte man mit verschiedenen Transparenzgraden, um die Verschattung zu steuern und das Bild einer Wolke zu erzeugen. Die Architekt:innen Françoise-Hélène Jourda (1955–2015) und Gilles Perraudin (* 1949) hatten bereits zur Stuttgarter Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) 93 mit einem futuristischen Wohnhaus an der Modellsiedlung „Wohnen 2000“ mitgewirkt. Ihr Konzept der filigran überdachten Halle, deren Stützenköpfe sich baumähnlich verzweigen können, findet sich parallel zur Akademie Mont-Cenis in Herne auch beim Justizpalast in Melun (1998) und am „Place du 8 Mai 1945“ in Lyon (2001).
Herne, Akademie Mont-Cenis, die Wasserbassins im Inneren werden immer wieder überbrückt (Bild: Stefan Kottas, CC BY SA 4.0, 2017, via flickr)
Von Akademie bis Restaurant
Unter der gläsernen Hülle finden unterschiedliche Nutzungen Raum, die ineinander greifen: die Fortbildungsakademie mit Tagungs- und Verwaltungsräumen, der Bürgersaal, eine Filiale des Rathauses, eine Bibliothek, ein Hotel, ein Restaurant, eine Bühne und ein Fitnessstudio. Funktional werden die Einbauten durch Brücken und Stege miteinander verbunden. Doch ihre äußere Formen – mal quaderförmig, mal mit halbrundem Dachabschluss, mal als stumpfer Kegel ausgebildet – zeigen sich als eigenständige stereometrische Körper. Im Gesamtbild werden alle Elemente durch ihre hellen Wandoberflächen zusammengebunden, die das einfallende Licht gleichmäßig in der Halle verteilen. Dieser Effekt wird durch weiße Reflektoren zusätzlich unterstützt.
In Sodingen treffen zwei Strömungen der 1990er Jahre aufeinander: Hightech- und Öko-Architektur. Die Akademie galt 1999 als größte in den Bau integrierte Fotovoltaik-Fläche weltweit. Für Kühlung sorgen Lüftungskanäle und -schlitze, selbst in der Lüftungsanlage wird Abwärme gewonnen. Palmen verbinden den halböffentlichen Raum der Halle mit der Natur jenseits der gläsernen Hülle. Das Akademiegebäude erhebt sich am südöstlichen Rand einer ovalen Lichtung, die von einer Pappelallee eingefasst wird. Gegenüber, am nordwestlichen Brennpunkt der Ellipse, liegt das rechteckige Stelenfeld. Hier hat der Landschaftsarchitekt Hermann Prigann (1942–2008), der zeitgleich die Himmelstreppe auf der Halde Rheinelbe formte, ausgewählte Trümmerreste der einstigen Zeche gruppiert. Nach Nordwesten setzt sich die das grüne Oval im bewaldeten Stadtpark fort.
Herne, Akademie Mont-Cenis, eine Gasse führt zwischen den aufgereihten Einbauten hindurch (Bild: Grundriss und Schnitte)
Der Sonnentempel
Auf dem Areal der ehemaligen Kohlenzeche, am überlieferten Standort einer überholten Energieform, erprobten die Architekt:innen 1999 ein Zukunftsmodell. Zum einen verbrauchen die Nutzer:innen hier, verglichen mit Neubauten jener Jahre, rund 50 Prozent weniger Energie. Zum anderen produzieren die Fotovoltaik-Module im Jahr rund 750.000 Kilowattstunden Strom, doppelt so viel, wie man in der Akademie selbst benötigt. Das entweichende Grubengas, das mehrheitlich aus Methan besteht, wird in einem Blockheizkraftwerk aufbereitet: als Strom für das öffentliche Netz und als Wärme für die Akademie, eine benachbarte Siedlung und ein Spital. Mit einer Batterieanlage lassen sich Schwankungen puffern und auch das gesammelte Regenwasser wird wiederverwertet. Dieses ressourcenschonende Konzept zelebrieren die (Landschafts-)Architekt:innen im Wechselspiel moderner und traditioneller Materialien. Unübersehbar feiern sie ihren Ansatz mit Bauformen, die an antike Tempel und archaische Heiligtümer erinnern – aus dem Bergwerk, das im Untergrund nach Energie suchte, wurde ein lichter Sonnentempel.
Text: Karin Berkemann, Frankfurt am Main/Greifswald, April 2023
Herne, Akademie Mont-Cenis (Bild: Stefan Kottas, CC BY SA 4.0, 2017, via flickr)
Herten-Sodingen, Zeche Mont-Cenis, 1978 (Bild: Arnoldius, CC BY SA 3.0, 1978)
Herne, Akademie Mont-Cenis (Bild: Nils Apfelbaum, CC BY NC SA 2.0, via flickr, 2007)
Herne-Sodingen, Akademie Mont-Cenis (Bild: Tuxyso, CC BY SA 3.0, 2016)
Herne-Sodingen, Akademie Mont-Cenis, Luftbild (Bild: Thomas Gallus, 2022, via flickr)
Herne-Sodingen, Mont-Cenis, Stelenfeld mit Pappeln (Bild: Dr. W. Strickling, CC BY SA 4.0, 2020)
Krippner, Roland, Vom Sonnenhaus zum Aktiv-Stathaus. Historische Skizze zur gebäudeintegrierten Solartechnik, in: Sonnenenergie, 6, 2016, Dezember–Februar, S. 20–23.
Mont-Cenis. Die Fortbildungsakademie in Herne, in: Hochpaterre 13, 3000, 3.
Hellmann, Sebastian, Die Zeche Mont-Cenis in Herne, auf: ruhrgebiet-industriekultur.de.
Online-Präsenz der Fortbildungsakademie Herne.
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