„Voll im Trend liegen Sie mit diesen Business-Socken im Design der S-Bahn-Sitze“: Irgendwo zwischen Ironie und Fashionstatement bewirbt der Frankfurter Rhein-Main-Verkehrsverbund eines der klassischen Muster der 1990er Jahre. Ein Foto eben jener schwarz-blau-gerasterten Bahnpolster gehörte, aus Anlass des 30. ICE-Jubiläums, im Sommer 2021 zu den ersten Posts der Best-of-90s-Facebookgruppe. Wenige Wochen später startete moderneREGIONAL – gemeinsam mit der baden-württembergischen und der Hamburger Landesdenkmalpflege, mit dem BDA Hessen und Baukultur NRW – die Online-Plattform, die jetzt auf ihr erstes Jahr zurückblicken kann. Grund genug für eine kurze Bestandsaufnahme, wo die Architektur der 1990er gerade steht.
Das Architektur-Karo überzieht erst in Sprossen die späten postmodernen Bauten, bevor es sich Mitte der 1990er Jahre in ein kühles Fassadenraster auflöst (Bilder: links: Düsseldorf, WDR-Landesstudio, Foto: Christian A. Schroeder, CC BY SA 4.0, 2016); rechts: Japan Center in der Frankfurter Skyline, Foto: Heidemarie Niemann, via flickr.com, 2012)
Kick-off-Konferenz mit Buch
2021 hatte die Baukunst der 1990er Jahre noch nicht die Hürde genommen, als historisch gelten zu können. Im Vorlauf sammelte „Best of 90s“ daher über Social Media erste Beispiele, stimmte über das Projekt-Logo ab und tauschte alltagskulturelle Erinnerungen. Nach einem offenen Call präsentierte die Kick-off-Tagung „Das Ende der Moderne?“ erste Beispiele – drei Monate später erschien der Tagungsband bei urbanophil. Dieser erste Überblick über die Baukunst der 1990er Jahre im deutschsprachigen Raum fand in der Tages- und Fachpresse rege Beachtung, u. a. in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), in „Die Welt“, beim „Baunetz“, in der „Deutschen Bauzeitung“, im „Monopol Magazin“ und bei „Der Architekt“. An der Universität Weimar konnte das Projekt während der Tagung „Denkmal Postmoderne“ auf dem Podium vorgestellt werden, ein Bericht zu „Best of 90s“ erscheint zudem in diesem Herbst in der Fachzeitschrift „Die Denkmalpflege“.
Vor dem zeittypischen Karo-Lochblech: Der Tagungsband zum Projekt „Das Ende der Moderne?“, erschienen bei urbanophil, bietet den ersten, längst überfällige Rundumblick auf die Architektur der 1990er Jahre im deutschsprachigen Raum (Bilder: links: Julia Zinnbauer mit dem Cover-Foto zur Frankfurter Zeil-Galerie von Dieter Leistner, rechts: urbanophil) – das Buch gibt es hier
65 Punkte und viele Denkmalkandidaten
Wie schon bei der Stilrichtung des Brutalismus nehmen auch die 1990er Jahre gerade den Weg über halb ironisch, halb ästhetisch aufgefasste Designprodukte, bevor auch die Architektur jener Jahre mehr und mehr beachtet wird. Diese Entwicklung wird von „Best of 90s“ aktiv angestoßen und begleitet: Seit einem guten Jahr erscheint hier online im Schnitt alle 14 Tage ein Bauporträt. Diese Texte werden ergänzt um die Kategorie „Menschen“: Interviews mit jungen Forschenden oder Zeitzeug:innen. So sind aktuell bereits 65 Punkte auf der virtuellen Karte zusammengekommen. Zur Auswahl wird Fachliteratur ausgewertet, treffen Vorschläge der moderneREGIONAL-Leser:innen ein, stehen Projektpartner:innen und regionale Pat:innen beratend zur Seite. Unter den online vorgestellten Bauten finden sich auch erste Objekte, die in der Folge unter Denkmalschutz gestellt wurden. Und in der Kategorie „News“ werden aktuelle Meldungen gebündelt, mit dabei leider immer wieder auch bedrohte oder abgerissene Beispiele. Es bleibt also viel zu tun für „Best of 90s“, um die Tür auch für die späten 1990er Jahre weiter zu öffnen.
Junge Denkmale auf moderneREGIONAl – vom Freiburger Heliotrop bis zum Hamburger Englandtermin ist die Inventarisation inzwischen bei den frühen 1990er Jahren angekommen (Bilder: links: Rolf Disch, SolarArchitektur; rechts: Inken Rahardt)